Prognose: Niveauverfall

TRIER. Mit dem Kabel-Pilotprojekt Ludwigshafen startete am 1. Januar 1984 das Privatfernsehen in Deutschland. Ein groß angelegtes Projekt an der Universität Trier begleitete die ersten Schritte von Sat.1, RTL plus und Co. Einfluss auf die spätere Gesetzgebung hatte es aber kaum.

Niveaulose Talkshows, langweilige Seifenopern und nervige Werbepausen: Seit Einführung des Privatfernsehens ist das Programm in Deutschland zwar vielfältiger, aber nicht gerade anspruchsvoller geworden.Mit billigen Serien aus den Tiefen des Archivs, Erotikfilmchen à la Schulmädchen-Report und schrulligen Eigenproduktionen bestritten die privaten Sender ihre ersten Jahre. Längst ins Reich der nostalgischen Erinnerungen verbannt ist etwa der smarte Italiener Salvatore und seine Fünf-Minuten-Show "Pronto Salvatore", in der die Zuschauer um Geld spielen konnten. Längst abgesetzt ist auch die Erotik-Show "Tutti Frutti" mit Hugo Egon Balder, die Sahne auf nackter Haut wohnzimmertauglich machte.Bevor die Privaten bundesweit auf Sendung gingen, kam ein Testpublikum in den Genuss der neuen Formate. Als erste sahen Zuschauer mit Kabelanschluss in Ludwigshafen und in der Vorderpfalz die neuen Programme. Mit von der Partie waren bei dem Versuch Privatsender wie Sat.1 und RTL plus, aber auch Zusatzangebote der öffentlich-rechtlichen Anbieter wie 3Sat und Eins plus. Auch Sender aus dem Nachbarland Frankreich wurden eingespeist. An der Grenze zu Luxemburg war RTL plus ebenfalls zu empfangen - per Antenne aus dem Nachbarland.Zu dem Pilotprojekt gehörte eine wissenschaftliche Begleitkommission. In ihrem Auftrag untersuchten von 1984 bis 1986 Forscher an der Universität Trier nach den vom Gesetzgeber vorgegebenen strengen Methoden der sozialwissenschaftlichen Forschung das Programmangebot öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehanbieter. Drei wissenschaftliche Mitarbeiter und 45 studentische Hilfskräfte waren mit der Kodierung der Inhalte und der Auswertung beschäftigt. Sie maßen den Anteil verschiedener Programmformen am Angebot."Nach meiner Kenntnis ist das die größte vergleichende Untersuchung von Programmen, die es auf der ganzen Welt gegeben hat", sagt Erwin Faul, inzwischen emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier und Mitglied der Begleitkommission.Die Richtung, in die sich das Privatfernsehen entwickeln würde, erahnten die Forscher damals. "Die Privaten brachten mehr Unterhaltung und mehr Formate, die nicht als qualitativ gelten", berichtet Faul. "Die Unterschiede waren deutlich." Am Anfang hätten die Privatsender aber eine gewisse Zurückhaltung gezeigt."Abwärtsentwicklung absehbar"

Faul: "Wir waren nicht so naiv, dass wir dachten, die Programme würden auch später so bleiben. Aus meiner Perspektive war eine Abwärtsentwicklung des Niveaus durchaus absehbar. Die Realität hat die Prognose in der nachfolgenden Zeit aber übertroffen."Große Auswirkungen auf die Gesetzgebung hatten die Programm-untersuchungen aber nicht. "Der politische Wille stand im Vordergrund, die kulturpolitischen Warnungen sind nur in zweiter Reihe beachtet worden", sagt der Politikwissenschaftler. "Statt der Europäisierung des Fernsehens hat eine Amerikanisierung eingesetzt."Vor der Einführung des Privatfernsehens hatte 1982 die Regierung gewechselt. "Die sozialliberale Koalition hatte auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen gesetzt", meint Faul. "Sie tat das nicht aus kulturpolitischer Verantwortung, sondern weil sie dort außerordentlich gut etabliert war. Die Unionsparteien hingegen hatten das Gefühl, nicht ausreichend vertreten zu sein."

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