Putsch von unten

BERLIN. Den Mitarbeitern im Willy-Brandt-Haus steht die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben, als Franz Müntefering mit fast einstündiger Verspätung vor die Mikrofone tritt.

Kurz zuvor war eine politische Bombe geplatzt. In der internen Sitzung des Parteivorstands hatten von 38 anwesenden Spitzengenossen nur 14 für Münterferings Vorschlag votiert, seinen engen Vertrauten, Kajo Wasserhövel, für das Amt des Generalsekretärs zu nominieren. 23 gaben der Parteilinken Andrea Nahles ihre Stimme. Eine schwere Niederlage für den Chef. Was aber noch viel schwerer wog: Über die Ticker lief alsbald die Eilmeldung, dass sich Müntefering vom Chefposten der Partei zurückzieht. Der 65-jährige Sauerländer ist dann hörbar bemüht, seine innere Aufgewühltheit durch einen geschäftsmäßigen Ton zu überspielen. Es sei klar gewesen, dass nur ein Kandidat für den Generalsekretär auf dem Parteitag Mitte November in Karlsruhe antrete, erzählt Müntefering. "Das geht jetzt schneller". Auf dem Parteitag wolle er nicht mehr als Vorsitzender kandidieren. "Dazu war das Ergebnis zu eindeutig". Dann sagt er noch einen Satz, bei dem alle spüren, wie schwer er Müntefering fällt: "Wir haben Andrea Nahles viel Erfolg gewünscht." "Die Leute haben mit dem Feuer gespielt"

Die SPD im Schockzustand. Scheinbar aus heiterem Himmel schmeißt die sozialdemokratische Symbolfigur den Bettel hin. "Das ist eine extrem schwierige Situation", bekennt der Parteilinke Ottmar Schreiner. "Die Leute haben mit dem Feuer gespielt, jetzt brennt es", meint Fraktionsvize Ludwig Stiegler über die Nahles-Befürworter. Seit gut einer Woche hatten sich die unversöhnlichen Standpunkte immer weiter hochgeschaukelt. Die einen meinten, dass man dem Personalvorschlag des Chefs unbedingt Folge leisten solle, weil er sonst in den Koalitionsverhandlungen beschädigt würde. Die anderen beharrten darauf, dass die SPD gerade in einer großen Koalition auf ihr Profil achten müsse und daher im Willy-Brandt-Haus eine unverwechselbare Persönlichkeit brauche. Kajo Wasserhövel gilt sicher als guter Organisator. Hinter verschlossenen Türen waren die unterschiedlichen Meinungen gestern noch einmal aufeinander geprallt. In der Vorstellungsrunde, so hieß es von Teilnehmern, habe Wasserhövel alle Klischees eines "Funktionärs und Apparatschik" bedient. Dagegen habe sich Nahles als "politische Generalsekretärin" empfohlen. Noch-Kanzler Gerhard Schröder warb eindringlich dafür, Münteferings Autorität zu stärken. Der designierte Umweltminister, Sigmar Gabriel, sah sich als Vermittler und empfahl, die Personalentscheidung auch im Zusammenhang mit den SPD-Stellvertreter-Posten zu sehen. Doch Nahles hatte schon vorher klar gemacht, dass sie nicht für den Parteivize kandidieren will. Die Pro-Nahles-Stimmung sei schon in den meisten Wortbeiträgen deutlich geworden. Müntefering habe zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mit Rücktritt gedroht. "Doch wer aufmerksam zuhörte, konnte es erkennen". Als das Abstimmungsergebnis dann verkündet wurde, herrschte eisiges Schweigen. Am Ende hat im Vorstand niemand versucht, Müntefering von seinem Vorhaben abzuhalten. Für die Nachfolge Münteferings kommen der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, Kurt Beck, und Brandenburgs Regierungschef, Matthias Platzeck, in Frage. Aber auch Gerhard Schröder wurde gestern genannt.

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