"Realsatire" mit ernstem Hintergrund

BERLIN. Rot-Grün, Schwarz und Gelb rüsten gegen den braunen Mob - und diskutieren weiter über den richtigen Weg der Bekämpfung: Soll das Versammlungsrecht verschärft oder die Bannmeile ausgeweitet werden - oder reichen die bestehenden Gesetze aus?

Die rot-grüne Koalition streitet weiter über geeignete juristische Mittel zur Verhinderung von NPD-Aufmärschen am 8. Mai. Innenminister Otto Schily (SPD) zeigte sich gestern im Bundestag auch für einen Gesetzentwurf der Union zur Ausweitung der Bannmeile um das Berliner Regierungsviertel offen. Die Fraktionen von SPD und Grünen lehnten das Papier rundweg ab. Ihre eigene Gesetzesvorlage zur Verschärfung des Versammlungsrechts, der vom Parlament in erster Lesung behandelt wurde, ist allerdings auch nicht der Weisheit letzter Schluss: Nachbesserungen sollen nächste Woche ausgehandelt werden. So könnte das Gesetz noch Anfang Mai in Kraft treten. Zu Wochenbeginn hatten die eigenen Bundestagsfraktionen einen Vorschlag des Innen- und Justizministeriums als grundgesetzwidrig eingestuft und durch eine eigene Vorlage ersetzt. Schily und seine Kabinettskollegin Brigitte Zypries (SPD) planten eine Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung. Neben den geltenden Regeln gegen die Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermordes ("Auschwitz-Lüge") sollte auch bereits eine Verharmlosung und Verherrlichung des NS-Regimes unter Strafe gestellt werden. Die rot-grünen Kritiker fürchteten jedoch, dass das mit dem Verfassungsgebot der Meinungsfreiheit kollidiert und von den Karlsruher Richtern kassiert werden könnte. Die aktuelle Vorlage von Rot-Grün soll nach Angaben des Parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen, Volker Beck, den Gesetzestext nun bis zum kommenden Mittwoch mit verfassungsfesten Formulierungen zur Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen ergänzen. Der vorliegende Entwurf sieht im Kern Versammlungsverbote an Orten vor, "die zu einem nationalen Symbol für die systematische Vernichtung von Menschen geworden sind". Unklar ist noch, wer diese Orte bestimmen soll. Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) fürchtet, dass rechtsextreme Aufmärsche an bedeutsamen Orten, die nicht vom Gesetzesverbot erfasst sind, womöglich sogar erleichtert würden. Angesichts der Differenzen im Regierungslager sprach Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach von "politischer Realisatire". Gleichzeitig bot er jedoch an, die Vorstellungen der Koalition "wohlwollend" zu prüfen. Umgekehrt warb auch Otto Schily für parteiübergreifende Gemeinsamkeit bei der Verschärfung des Versammlungsrechts. CDU und CSU versprechen sich von ihrem Vorstoß, "die schnellste und einfachste Lösung", um den geplanten NPD-Aufmarsch vor dem Brandenburger Tor am 8. Mai zu verhindern. Der innenpolitische Experte der SPD, Dieter Wiefelspütz, lehnte den Unionsentwurf jedoch als "evident verfassungswidrig" ab. Der befriedete Bezirk diene ausschließlich der Funktionsfähigkeit des Bundestages. Die FDP zeigte sich indes davon überzeugt, dass der NPD-Aufmarsch auch schon durch die geltende Rechtslage verboten werden könne.

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