Rechenspiele statt Familienpolitik

TRIER. Weniger Kindergeld, dafür beitragsfreie Kindergärten. Der Vorschlag von Bundesfinanzminister Steinbrück erntet viel Kritik. Dabei wird in der großen Koalition schon lange über eine Kürzung des Kindergelds nachgedacht.

Familienpolitik in Deutschland ist nicht leicht: Trotz leerer Kassen sollen Eltern entlastet und finanzielle Anreize geschaffen werden, damit mehr Kinder geboren werden. Ein Spagat. Doch zunehmend zeigt sich, dass es kaum noch Gestaltungsspielraum für echte Familienpolitik gibt. Beispiel: beitragsfreie Kindergärten. Die Politik ist sich einig, dass die Eltern von den Betreuungskosten befreit werden sollen. Doch Geld dafür ist nicht vorhanden. Also dachte Finanzminister Peer Steinbrück einfach mal laut nach. Bei einer Buchvorstellung in Berlin philosophierte er darüber, das Kindergeld um zehn Euro zu kürzen und mit den so eingesparten zwei Milliarden Euro die Kindergartengebühren zu finanzieren. In der Tat stellt die Beitragsabschaffung Bund, Länder, Kommunen und Kindergartenträger vor ein Problem. Allein dem Bistum Trier würden jährlich 33 Millionen Euro fehlen. Der oft unterkühlt wirkende Steinbrück sprach nur das aus, worüber seit langem in der Berliner Koalition gesprochen wird. Alle familienpolitischen Leistungen des Staates sollen noch in diesem Jahr auf den Prüfstand - auch das Kindergeld. Anfang des Monats kam übrigens genau der gleiche Vorschlag auch aus der CDU - vom nordrhein-westfälischen Familienminister Armin Laschet. Seine Parteifreundin und Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen lehnt diesen Vorschlag jedoch (noch) ab. Verständlich, hat er doch einen Denkfehler. Mit der Kürzung des Kindergeldes müssten auch Eltern von Schulkindern oder Jugendlichen in der Ausbildung für die Betreuung von Kleinkindern aufkommen. Zudem sind viele Familien auf die 154 Euro pro Kind im Monat angewiesen. "Dieses Geld ist fest eingeplant. Eine Kürzung würde für uns enorme Einschnitte bedeuten", sagt die Triererin Andrea Hansen, Mutter von vier Kindern. 34 Milliarden Euro wenden Bund, Länder und Gemeinden jährlich für das Kindergeld auf. Das seit 1989 von 50 Mark auf mittlerweile 154 Euro erhöhte Kindergeld dient Familien dazu, Einkommensnachteile und höhere Kosten zumindest teilweise zu kompensieren. Steinbrück vergisst, dass Besserverdiener vor allem durch den Kinderfreibetrag profitieren. Auch der müsste gekürzt werden. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht dafür enge Grenzen gesetzt: Das Existenzminimum von Kindern muss von der Steuer frei gestellt sein, und der Kinderfreibetrag müsste eigentlich sogar erhöht werden. Bei einer Kürzung des Kindergeldes käme es daher zu einem Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich. Was die Höhe des Kindergeldes angeht, liegt Deutschland hinter Luxemburg und Lichtenstein europaweit auf Platz drei. Allerdings hat das bisher nicht dazu geführt, dass sich die Zahl der Kinder in der Bundesrepublik deutlich erhöht hat. In Belgien, wo das Kindergeld für die ersten zwei Kinder niedriger ist als in Deutschland, versteht man die derzeitige Diskussion daher nicht. Dort sind die Kindergärten frei und den ganzen Tag geöffnet. In der deutschsprachigen Gemeinschaft in Ostbelgien zum Beispiel habe jedes Kind ab drei Jahren einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz und bekomme auch einen, sagt der zuständige Bildungsminister Oliver Paasch. Der fundamentale Unterschied zu Deutschland: Kindergärten werden bei den Nachbarn als Teil des Bildungssystems angesehen, sie gelten als eine Art Vorschule. Daher wendet der Staat relativ viel für diesen Bereich auf. Laut Paasch gibt die deutschsprachige Gemeinschaft die Hälfte ihrer Finanzmittel für das Bildungswesen aus: "Das ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung."

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