Reformen auf der Zielgeraden?

BERLIN. Der Kanzler ist Kummer gewöhnt. Mehr als ein halbes Dutzend Mal drohte Gerhard Schröder bereits mit Rücktritt, um die eigenen Reihen auf Reform-Linie zu bringen. In dieser Woche könnte sich das zweifelhafte Schauspiel wiederholen. Denn für den Niedersachsen geht es einmal mehr um Alles oder Nichts.

Gleich drei entscheidende Gesetze stehen am kommenden Freitag im Bundestag zur Abstimmung. Da ist zum einen das Vorziehen der Steuerentlastungen, die mit einer Kürzung der Pendlerpauschale und der Streichung der Eigenheimzulage verbunden sind. Und da ist zum anderen die lang umstrittene Neuregelung der Gewerbesteuer, die erstmals auch bei Freiberuflern zu Buche schlagen soll. Den meisten Zündstoff bergen jedoch die weiteren Umbaumaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt (Hartz III und IV), weil sie das ideologische Fundament vieler Genossen ins Wanken bringen. Über Wochen schlugen sich Befürworter und Widersacher die Argumente um die Ohren. Die einen drohten mit offener Rebellion ("keine Zustimmung"), die anderen setzten auf wilde Beschimpfungen ("charakterlose Gesellen"). Doch inzwischen üben sich alle Beteiligten wieder in verbaler Abrüstung.Verwässerung der Reform soll vermieden werden

"Ich hoffe, dass wir zu Beginn der Woche zu Entscheidungen kommen, die ein Scheitern ausschließen", flötete ein Dissident, der Sozialexperte Ottmar Schreiner. Genau darauf ist das Krisenmanagement der rot-grünen Spitzenpolitiker ausgerichtet. Bereits vor drei Wochen hatte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering die Abgeordneten per Rundschreiben animiert, mögliche Kritikpunkte aufzulisten. Davon wurde offenbar so reichlich Gebrauch gemacht, dass die Fraktionsführung ihre Anzahl noch immer wie ein Staatsgeheimnis hütet. Noch bis zum Wochenende jagte eine interne Sitzung die nächste, um gesichtswahrende Linien abzustecken: Einerseits mussten sich die Rebellen mit ihren Bedenken wieder finden, andererseits durfte es "keine Verwässerung" der Reform geben, vor der Müntefering & Co stets gewarnt hatten. So zeichnet sich ab, dass Langzeitarbeitslose zwar auch Mini-Jobs und Teilzeitstellen annehmen müssen. Um Lohndumping zu vermeiden, sollen aber die Arbeitsämter eine Einhaltung der ortsüblichen Mindestvergütung kontrollieren. Auch bei der Anrechenbarkeit von Altersvorsorgekapital auf das neue Arbeitslosengeld II gibt es Bewegung. Bislang sollten bei einen Erwerbslosen ab 55 lediglich 200 Euro pro Lebensjahr, also 11 000 Euro, verschont bleiben. Nun könnte die Lebensversicherung auch 33 000 Euro ausmachen, ohne bei der Berechnung der staatlichen Stütze ins Gewicht zu fallen. Ob den Dissidenten solche Friedensangebote genügen, wird sich schon am heutigen Montag zeigen. Von 12.30 bis 14 Uhr tagen die Koalitionsspitzen, um den Kompromiss abzusegnen."Eine lange Stunde der Wahrheit"

Zwei Stunden später kommen die Fraktionen von SPD und Grünen zu getrennten Sondersitzungen zusammen. Dort gibt es zu den Änderungen eine Probeabstimmung. Dennoch ist es gut möglich, dass einige wenige Bedenkenträger ihr Votum bis zum "Finale" am Freitag offen halten. Einzelgespräche zur Seelenmassage wollen die Parteistrategen gleichwohl vermeiden.Eine Blamage wie Ende September bei der Abstimmung zur Gesundheitsreform, als neben Schreiner fünf weitere Genossen überraschend mit "Nein" votierten, darf sich jedenfalls nicht wiederholen. Damals war die Mehrheit auch ohne sie gesichert, weil die Union beim Gesundheitskonsens mit im Boot war. Diesmal hat die Union bereits alle drei Gesetzesvorhaben dankend abgelehnt.Das bedeutet, die Koalition kann sich zur Sicherung der eigenen Mehrheit höchstens vier Abweichler leisten. Doch auch dann wäre dem Kanzler höchstens eine Verschnaufpause beschieden. Anschließend werden Reformgesetze nämlich durch die Mangel des Bundesrates gedreht. Und da können noch manche unliebsame Kompromisse zu Stande kommen, die am Ende wieder im Bundestag abgesegnet werden müssen. Müntefering schwant dann auch noch eine Menge Überzeugungsarbeit: "Das ist ein lange Stunde der Wahrheit."

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