Regierungs-Propaganda gegen Zweifel

Washington . Der Protest in den USA gegen George W. Bush und seine Irakpolitik steigt nach den jüngsten Anschlägen weiter an.

Wenn in den nächsten Tagen die Opfer des folgenreichen Hubschrauber-Abschusses im Irak in ihre Heimat überführt werden, wird es von der Ankunft der in Sternenbanner-Flaggen gehüllten Särge auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Dover vermutlich wieder keine Fernseh- oder Fotoaufnahmen geben. Für das Pentagon sind derartige Bilder seit längerem ein Tabu, weil sie die Moral der Truppen und ihrer Angehörigen untergraben könnten. Auch hat, wie jetzt die "Washington Post" vorwurfsvoll bilanzierte, US-Präsident George W. Bush bisher an keinem einzigen Begräbnis oder Gedenk-Gottesdienst für einen gefallenen amerikanischen Soldaten teilgenommen. Und am Tag, an dem US-Truppen den bisher tödlichsten Gegenschlag durch feindliche Kämpfer hinnehmen mussten, scheute Bush das Licht einer Öffentlichkeit, in der nur noch 47 Prozent der Bürger derzeit glauben, er treffe außenpolitisch die richtigen Entscheidungen. Hatte der Präsident sich am Samstagabend noch bei einem Auftritt zum Sammeln von Wahlkampfspenden in bester Laune gezeigt, verbrachte er den Sonntag zurückgezogen und abgeschirmt auf seiner Ranch in Texas. Das alles soll zum Gesamtbild eines Politikers beitragen, der von Rückschlägen nichts wissen will und unerschütterlich weiter an den Erfolg einer Mission glaubt, die er am 1. Mai während seines Auftritts in fescher Fliegeruniform auf dem Flugzeugträger "Abraham Lincoln" längst abgeschlossen wähnte. Bush zieht gegen Kritiker alle Register

Doch seit diesem Datum sind 240 US-Soldaten im Irak ums Leben gekommen. Über die Zahl der Verwundeten hat das Pentagon angeblich keine genauen Erkenntnisse parat. Im Umfeld von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld heißt es aber, dass auf jeden Gefallenen statistisch gesehen sieben Militärangehörige kommen, die eine Attacke mit Verletzungen überleben. Mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ist fast immer nur unter Auflagen möglich: Wird einem US-Fernsehsender ausnahmsweise einmal gestattet, einen verwundeten Heimkehrer in einem der Militärhospitäler zu interviewen, so sitzt immer ein Vorgesetzter mit am Krankenbett. Ältere Amerikaner fühlen sich durch derartige Vorgänge längst an den Vietnam-Krieg erinnert, bei dem steigende Verluste und eine sich massiv verschlechternde Situation auf dem Schlachtfeld zunächst verharmlost und durch Regierungs-Propaganda verwässert wurden. Zu diesem Eindruck trug am Wochenende auch die Bewertung des Irak-Oberkommandierenden General Ricardo Sanchez bei, der konstatierte: "Die Attacken sind strategisch und für unsere Operationen unbedeutend." Auch der Umstand, dass US-Präsident George W. Bush mittlerweile alle wichtigen Entscheidungen zum Irak im Weißen Haus zentral fällen lässt, weckt bei Historikern düstere Reminiszenzen: Das sei, so der US-Geschichtswissenschaftler David Kennedy, schon bei Präsident Lyndon B. Johnson schief gegangen, der sich die Auswahl von Bombenzielen in Vietnam persönlich vorbehalten hatte. Gleichzeitig müssen jene, die sich um eine realistische Darstellung der Lage im Irak bemühen, mit dem Zorn und Gegenattacken des Weißen Hauses rechnen. Das spürte vor allem Jeffrey Kofman vom US-Fernsehsender ABC. Kofman hatte im Juli in einer Aufsehen erregenden Reportage Mitglieder der dritten US-Infanteriedivision zu Wort kommen lassen, die nicht nur einen baldigen Abzug aus dem Irak, sondern teilweise auch den Rücktritt von Verteidigungsminister Rumsfeld begehrt hatten. Während sich die kritischen Soldaten nun einem Disziplinar-Verfahren ausgesetzt sehen, ließen Bush-Mitarbeiter über Internet-Klatschreporter Matt Drudge verbreiten, der betreffende ABC-Fernsehjournalist sei homosexuell und kanadischer Staatsbürger - und damit, wie suggeriert werden sollte, vor allem an regierungsfeindlicher Berichterstattung interessiert. Anekdoten wie diese haben jedoch nicht verhindern können, dass die steigende Verluste und die offenbar sinkende Moral der kämpfenden Truppe immer mehr thematisiert werden. So widmete die "New York Times" am Wochenende eine ganze Seite gefallenen Soldaten und ihren Familienangehörigen. Damit jedoch gehört - so ist es zumindest die Interpretation des Weißen Hauses - die New Yorker Zeitung zu jenen Massenmedien, die negative Aspekte der Entwicklung im Irak übertreiben und "die Wahrheit verschweigen", so Bush kürzlich in einer Presse-Schelte. Doch am Abend des Tages, an dem die US-Fernseh- und Radiostationen den Tod von 18 Soldaten als erste Meldung präsentierten, gab es auch für die hartgesottenen Mitglieder des Bush-Kabinetts nichts mehr zu beschönigen: Das Ganze sei eine "Tragödie", meldete sich Verteidigungsminister Rumsfeld stellvertretend für den abgetauchten Präsidenten zu Wort. Und: Solche Tage werde es in einem langen, harten Krieg immer geben. Sagt ein Minister, der im Frühjahr noch prophezeit hatte: "Ein Krieg im Irak wird ein Kinderspiel werden."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort