Revolution in Trier

Ausgerechnet die Wiedereröffnung des Karl-Marx-Hauses am 5. Mai 1968 war der Anlass für den ersten Auftritt der APO im beschaulichen Trier. Die linken Aktivisten von einst, die später von Bhagwan bis RAF die unterschiedlichsten Karrieren machten, sind für Montag zu einem spektakulären öffentlichen Treffen an alter Wirkungsstätte eingeladen.

 Ein Blick ins TV-Archiv: In der Ausgabe vom 6. Mai 1968 wird auf einer ganzen Seite über die Demonstration berichtet. TV-Foto: Klaus Kimmling

Ein Blick ins TV-Archiv: In der Ausgabe vom 6. Mai 1968 wird auf einer ganzen Seite über die Demonstration berichtet. TV-Foto: Klaus Kimmling

Trier. So etwas hatte die Bischofsstadt noch nicht gesehen: 500 Demonstranten marschierten hinter einem zum Demo-Fahrzeug umfunktionierten Opel Kapitän vom Hauptbahnhof via Porta zum Viehmarkt. Man intonierte Sprechchöre, verteilte Flugblätter und beschimpfte die politische Prominenz, die sich, angeführt von Willy Brandt, zur Wiedereröffnung des Karl-Marx-Hauses eingefunden hatte. Die "heuchlerische Bourgeoisie" und die "historischen Verräter der Arbeiterklasse" hätten kein Recht, Karl Marx zu feiern. Die SPD beschloss seinerzeit gerade gemeinsam mit dem Großen-Koalitions-Partner CDU die Notstandsgesetze - und lieferte damit das Haupt-Feindbild für die außerparlamentarische Opposition. Das ursprüngliche Ziel, das Karl-Marx-Haus gleich zu besetzen, gab man angesichts geballter Polizeipräsenz auf. Und auch sonst tat sich die demounerfahrene Schar etwas schwer mit dem zünftigen Protest, so dass Initiator Horst Remus am Ende, wie der "Spiegel" akribisch notierte, ins Megafon schimpfte: "Ihr seid zu blöd zum Demonstrieren!"Remus gehört zu den fünf Zeitzeugen, die die Friedrich-Ebert-Stiftung für den kommenden Montag zu einer Diskussionsrunde eingeladen hat. Aufgrund einer gewissen äußerlichen Ähnlichkeit firmierte er seinerzeit als "Fritz Teufel von Trier". "Ihr seid zu blöd zum Demonstrieren"

Aufgestöbert hat den zwischendurch in Bhagwan-Gefilde Abgetauchten der Buchhändler Richard Leuckefeld. Der spätere Gründervater der Trierer Grünen war als 15-Jähriger mit von der revolutionären Partie. Er erinnert sich genau an die Trierer Szene, die sich rund um die Werkkunstschule in der Oerenstraße, den Jazz-Keller im (längst abgerissenen) Bischof-Korum-Haus und das "Kulmbacher Eck" an der Ecke Südallee/Neustraße zu formieren begann. Es war gar nicht leicht, Treffpunkte zu finden, waren doch die Trierer Wirte zutiefst misstrauisch gegenüber den "langhaarigen Gammlern", die bedenkliche Debatten über Revolutionen und andere Themen führten, die ordentlichen Moselanern nicht ins Haus kamen. Da war man schon froh, wenn man in der beliebten Jugendkneipe "Lord's Inn" ein paar Flugblätter auslegen durfte. Und trotzdem war die Karl-Marx-Demo die Initialzündung für die Gründung einer "sozialistischen Basisgruppe", die bald ihre politischen Kreise zog. Es fanden sich Köpfe, die den APO-Protest auch nach Trier tragen wollten. Bernd Jonas beispielsweise, der Künstler. Oder Richard Hess, den sie den "Philosophen" nannten, weil er die großen marxistischen Wissenschaftler zu erläutern pflegte. Oder Till Meyer, der Berliner, der der Liebe wegen in Trier hängengeblieben war und in den frühen 70ern zur ersten RAF-Generation gehörte. Oder Juppy Becher, das Fußball-Talent aus Trittenheim, der später zum Chef der legendären UFA-Fabrik in Berlin avancierte.40 Jahre später hat Leuckefeld die Avantgardisten von einst ausfindig gemacht und gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung eingeladen. In Trier ist niemand von ihnen dauerhaft geblieben, eine klassische "bürgerliche Existenz" hat keiner gegründet. Über die bewegten Zeiten von '68, aber auch über ihr bewegtes weiteres Leben erzählen sie am Montag, 5. Mai, um 19 Uhr im Konferenzraum der Friedrich-Ebert-Stiftung.Rundherum gibt es ab 14 Uhr ein buntes Programm mit kostenlosen Führungen im Karl-Marx-Haus, in dessen Rahmen ab 16 Uhr Helmut Leiendecker als Karl Marx auftritt, ein Südwestfunk-Fernsehfilm über die legendäre Joseph-Beuys-Kunstaktion im Simeonstift gezeigt wird und die Tufa Ausschnitte aus dem Musical "Hair" präsentiert. Der Eintritt ist frei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort