Rot-Grün zügelt Amtsschimmel

BERLIN. Keine Fenster mehr für Dunkelkammern: Das Bundeskabinett hat sich auf eine Entrümpelung der Arbeitsstätten-Verordnung geeinigt. Von 58 Paragrafen bleiben nur noch zehn übrig.

Selbständige können ein Lied davon singen: Ohne die Beachtung zahlloser Gesetze und Verordnungen lässt sich hier zu Lande kaum etwas unternehmen. Dabei ist der Amtsschimmel auch für seltsame Überraschungen gut. Beispielsweise bemängelten Arbeitsschützer kürzlich die Dunkelheit in einer Dunkelkammer. Dass Helligkeit der Filmentwicklung abträglich ist, störte die Beamten mitnichten - sie bestanden auf den Einbau eines Fensters. Wahrscheinlich haben sich die Paragrafenreiter stur an die Arbeitstättenverordnung gehalten, wonach Arbeitsräume "eine Sichtverbindung nach außen" besitzen müssen. Selbst die Lage und Beschaffenheit der Lichtschalter sind in dieser Vorschrift geregelt. Sie sollen "leicht zugänglich und selbstleuchtend sein". Und damit es nicht zappenduster wird, ist eine "Allgemeinbeleuchtung" von mindestens 15 Lux vorgeschrieben. Diese Regelungswut hat nun die Bundesregierung auf den Plan gerufen. "Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von bürokratischen Regeln, die unsere Wirtschaft unnötig belasten", klagt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Die Arbeitsstätten-Verordnung, die selbst die Ausführung von Abfallbehältern vorschreibe, sei dafür ein krasses Beispiel. Deshalb verständigte sich gestern das Bundeskabinett auf die Abschaffung von 48 der 58 Paragrafen. Allerdings ist die frohe Botschaft insofern Augenwischerei, als die neuen Vorschriften um einen umfangreichen Textanhang mit konkreten Ausführungsbestimmungen ergänzt werden. Dennoch haben es Betriebsbesitzer in Zukunft leichter. Die Vorgaben sind zum großen Teil flexibler und überschaubarer als bisher und könnten vorbehaltlich der erwarteten Zustimmung des Bundesrates schon ab November in Kraft treten. So wird zum Beispiel die Gestaltung von Pausenräumen oder Toiletten nicht mehr haarklein geregelt, sondern allein von der Nutzung des Raumes abhängig gemacht. Bislang sind in Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten beider Geschlechter "vollständig getrennte Toilettenräume" vorgeschrieben. Künftig reicht es "bei wenigen Beschäftigten" aus, dass eine "getrennte Nutzung" der Räume ermöglicht wird. Die Unternehmer vor Ort wüssten besser als Politiker oder Beamte, ob in kleineren Betrieben getrennte Toiletten notwendig seien, so Clement.Gefahr neuer Bürokratie nicht gebannt

Auch die "Mindestlufträume" in Abhängigkeit von der Art der Tätigkeit sowie Mindestmaße von Umkleide- oder Waschräumen werden gestrichen. So ist derzeit ein Luftvolumen von zwölf Kubikmetern bei "überwiegend sitzender Tätigkeit" vorgeschrieben. Für "schwere körperliche Arbeit" sind es nach der geltenden Verordnung 18 Kubikmeter. Auch musste bislang die Grundfläche eines Pausenraumes mindestens sechs Quadratmeter betragen. In Zukunft soll ein solcher Raum nur noch "zur Verfügung" stehen. Allerdings gibt es auch sinnvolle Regelungen, die weiter in Kraft bleiben. Das gilt zum Beispiel für den Lärm- und den Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz. Der Passus, wonach Arbeitnehmern das Recht auf einen Arbeitsplatz ohne Tabakqualm zugebilligt wird, kam erst Ende 2002 in die Arbeitsstätten-Verordnung. Wirtschaftsminister Clement hofft, dass der Amtsschimmel durch die neuen Bestimmungen gezügelt wird. Die Gefahr einer neuen Bürokratie ist gleichwohl nicht gebannt. Das Paragrafenwerk schreibt nämlich auch die Einrichtung eine Expertenrunde vor, die Regeln zur Durchsetzung desselben aufstellen soll…

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