"Roter Kiebitz" stößt in Sicherheitslücke

Berlin. Der Flugzeugabsturz vor dem Berliner Reichstag hat die Debatte über die Sicherheit in Deutschland und den Einsatz der Bundeswehr im Innern zusätzlich angefacht. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) verlangte den verstärkten Einsatz von Soldaten.

Am Sonntag lag die riesige Wiese zwischen Berliner Reichstag und Kanzleramt wie blankgefegt in der Sonne. Keine rot-weißen Absperrbänder mehr, keine Polizei. Vereinzelt noch ein paar Neugierige. Nur der große dunkle Brandfleck im Rasen erinnerte noch an das Drama vom Freitagabend. Vor dem Hintergrund der blutigen Anschläge in England, der Türkei und Ägypten ist nun eine Diskussion darüber entbrannt, wie sicher das Regierungsviertel ist. Gegen 20.30 Uhr am Freitagabend war ein Leichtflugzeug vom Typ ,,Roter Kiebitz" mit voller Wucht auf dem Rasen vor dem Reichstagsgebäude aufgeschlagen; etwa 180 Meter von der großen Treppe des Haupteingangs entfernt. Terroranschlag auf den Reichstag, dem Sitz des Deutschen Bundestages!?, lauteten die ersten Nachrichten im Rundfunk, bis schnell klar wurde, der Amokflug über dem Regierungsviertel war kein fehlgeschlagener Anschlag. Er war wohl das tragische Ende eines Familiendramas: Selbstmord. Der 39-jährige Volker Klawitter war zusammen mit seinem 14 Jahre alten Sohn vom Flugplatz im brandenburgischen Eggersdorf gestartet. Nach ein paar Flugrunden über seinem Wohnort Erkner landete der rote Doppeldecker in Straußberg zwischen. Der Sohn musste aussteigen. Der Hobby-Pilot, von Beruf Müllmann, flog allein weiter Richtung Berlin. Schließlich stürzte sich Volker Klawitter im Regierungsviertel an der Spree in den Tod. Die Polizei vermutet eine Beziehungstat. Klawitters Frau wird seit vergangenen Montag vermisst. Es wird ermittelt, ob sie von ihrem Ehemann umgebracht wurde. Noch fehlt von ihr jede Spur. Klawitter selbst hatte ausgesagt, er habe seine Frau mit dem Auto zur Arbeit gebracht. Dort war sie aber nie angekommen. Zwar hatte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gleich nach dem Absturz alle Mutmaßungen über mangelnde Schutzmaßnahmen zurückgewiesen. Aber die Diskussion um ein Flugverbot über dem Regierungsviertel ist dennoch mit Wucht entbrannt. Sport- und Kleinflugzeuge dürfen den Berliner Luftraum grundsätzlich durchfliegen. Vorraussetzung ist, sie haben eine Fluggenehmigung und halten die angekündigte Route ein. Laut Sicherheitsbehörden dürfen die Maschinen über Berlin nicht tiefer als 2000 Fuß (600 Meter) fliegen, außer bei Starts und Landungen. Falls ein Pilot den angemeldeten Kurs verlässt, wird er aufgefordert, sofort auf die genehmigte Route zurückzukehren. Parallel wird versucht herauszufinden, ob er die Orientierung verloren oder absichtlich seine Flugroute geändert hat. Leichtflugzeuge vom Typ "Roter Kiebitz" sind bei ausgeschaltetem Transponder, einem speziellen Signalgeber, nicht auf dem Radarschirm zu verfolgen. Im Extremfall kann die zivile Luftüberwachung die Luftwaffe alarmieren, die ständig vollbewaffnete Kampfflieger startbereit hält. Grund für einen solchen Alarm wäre ein befürchteter Terroranschlag. Seit einer von der rot-grünen Bundesregierung im Oktober 2004 durchgesetzten Änderung des Luftsicherheitsgesetzes dürfen Kampfflugzeuge im Extremfall auch Zivilmaschinen, die als ,,Waffe" eingesetzt werden, abschießen. Der Absturz vor dem Reichtags hat in jedem Fall empfindliche Sicherheitslücken offenbart. Es hätte sich ja auch um ein Kleinflugzeug mit Selbstmord-Terroristen und Bomben an Bord handeln können, heißt es. Bayerns Innenminister Günther Beckstein fordert eine Prüfung, ob in solchen Fällen notfalls Luftabwehrraketen oder Kampfhubschrauber eingesetzt werden könnten. Am gestrigen Nachmittag erklärte Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe nach einem Gespräch mit Berlins Innensenator Körting auf einer Pressekonferenz, er wolle ein ,,Flugbeschränkungsgebiet" für Sichtflüge über dem Berliner Regierungsviertel einrichten, dass Privatfliegern verbiete, das Gebiet von Kanzleramt und Reichstag zu überfliegen. Erste Ergebnisse der geplanten Maßnahmen will Stolpe kommenden Freitag bekannt geben.

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