Russland wirft der Ukraine „Terror“ vor

Moskau · Es folgt Schlag auf Schlag. Am Mittwoch teilte Moskau mit, die von Russland annektierte Halbinsel Krim sei am Wochenende von Sabotage- und Terrorakten heimgesucht worden. Bei einem Schusswechsel zwischen ukrainischen „Diversanten“ und Angehörigen russischer Sicherheitskräfte seien ein FSB-Geheimdienstler und ein Wehrdienstleistender ums Leben gekommen.

Am Donnerstag tagte Moskaus Nationaler Sicherheitsrat. Im Eilverfahren wurden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für die Krim verfügt. Sie sollen "zu Lande, im Wasser und in der Luft" umgesetzt werden. Die " Sicherheit der Bürger und wichtiger Infrastruktur" müsse garantiert werden, heißt es in einer Erklärung Wladimir Putins.

Es hat den Anschein, als bastele Moskau in Windeseile an einem neuen Bedrohungsszenario. Daraus könnte der Kreml dann ein Recht auf Selbstverteidigung ableiten, zumindest für das heimische Publikum.

Zwei Gruppen von Diversanten will der FSB-Geheimdient auf der Krim dingfest gemacht haben. In der Nacht vom 6. auf den 7. August soll es an der Grenze zwischen der Krim und dem ukrainischem Festland zu einer Schießerei gekommen sein. Am selben Tag hätte ein Trupp von sieben Diversanten zudem versucht, mit einem Schlauchboot unerkannt bei der Ortschaft Armjansk anzulanden. Da sich eine FSB-Patrouille in der Nähe aufhielt, wurde der Trupp später entdeckt. Angeblich hatten die Eindringlinge den Auftrag: durch Anschläge für Verunsicherung zu sorgen und den "Tourismus abzuwürgen". Dabei sollte jedoch kein Menschenleben gefährdet werden. Einen Tag später, meldete der Kommersant, sei die Krim vom ukrainischen Festland aus mit schweren Waffen beschossen worden.

Das investigative Conflict Intelligence Team (CIT) überprüfte die Angaben des FSB. Demnach gab es in der Nacht auf den 7. August tatsächlich einen Schusswechsel. Beweise für einen massiven Beschuss aus schweren Waffen tags drauf fand das CIT nicht. Die Geschichte klingt abenteuerlich, als wäre sie im Kurs für kreatives Schreiben an der Hochschule für Sicherheitskräfte entstanden.

Nachdenklich stimmt: kaum hatte der türkische Präsident Recep Erdogan nach einer Versöhnungstour zu Kremlchef Putin Russland verlassen, stieg der ukrainische "Terror", zum beherrschenden Thema auf. Mindestens vier Tage lagen die Ereignisse schon zurück. Präsident Putin fährt seit Mittwoch schwere Kaliber auf. Kiew wirft er nicht nur "Terror" vor. Er kündigte auch Vergeltungsmaßnahmen für die beiden russischen Todesopfer an. Kiew, so Putin, versuche," einen Konflikt zu provozieren" und die Öffentlichkeit von der Einsicht abzulenken, wer die Macht in der Ukraine an sich gerissen hätte. Auffällig ist die selbst für den Kremlchef scharfe Wortwahl.

Zeitgleich teilte Präsident Putin mit, unter den jetzigen Umständen sehe er keinen Sinn mehr, im Rahmen der Normandie-Gruppe zusammenzutreffen. Dieses Gremium wurde geschaffen, um auf die Situation in der Ostukraine Einfluss zu nehmen. Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland gehören ihm an. Es erreichte nicht viel, bot Moskau aber einen Rahmen, ohne Gesichtsverlust aus dem verfahrenen Ukrainekrieg herauszufinden, wenn es denn wollte. Darauf verzichtet der Kreml nun und treibt die Spirale der Selbstisolation stattdessen weiter.

Auch die elektronischen Medien stimmen die Menschen in Russland auf eine neue Eskalationsrunde ein. Nach dem Motto, Russland sei gezwungen weiter zusammenzurücken. Sollte Moskau einen neuen Kriegsgang planen und sich Rechtfertigungen zurechtlegen?
Russische Beobachter sind beunruhigt. Manche wollen Parallelen zum sowjetischen Finnlandfeldzug 1939 erkennen, als der Anlass auch einer Inszenierung folgte.

Im September finden in Russland Dumawahlen statt. Auch das könnte ein Grund für die Zuspitzung sein, obwohl der Machterhalt des Kreml nicht in Frage steht. Die Kraft nationaler Begeisterung nach der Krimannexion 2014 schwindet jedoch langsam und auch ein Ende der Wirtschaftskrise ist nicht absehbar. Das treibt den Kreml um.

Nicht ausgeschlossen sei, dass in den nächsten Wochen Moskau unter dem Deckmantel einer "humanitären Friedensaktion" in der Ukraine wieder militärisch aktiv werde, meint der russische Militärexperte Pawel Felgenhauer. Nicht zuletzt hat Moskau im Südwesten Russlands die militärische Präsenz erst ausgebaut. Angeblich als Gegenmaßnahme gegen die Natoverstärkung im Baltikum.

Die Ukraine weist alle Vorwürfe von sich. "Putin will mehr Krieg. Russland sucht deshalb verzweifelt nach einem casus belli und testet die Reaktion des Westens" twitterte Dmytro Kuleba, Sprecher des ukrainischen Außenministeriums. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko versetzte die ukrainischen Soldaten an der Grenze zur Krim und an der Frontlinie in der Ostukraine in Alarmbereitschaft. Bereits am Vortag hatte er die russischen Terrorvorwürfe als "Fantasien" bezeichnet, die nur ein "Vorwand für die nächsten militärischen Drohungen gegen die Ukraine" seien.
meinung

von
Klaus Helge Donath

Dialogtherapie

Es ist schon vermessen, wie Wladimir Putin, der Wirtschaftszwerg, die Welt vor sich hertreibt. In der Ukraine riecht es wieder nach Pulver. Schon seit Wochen braut sich im Osten etwas zusammen. Jetzt enttarnten Geheimdienstler angeblich ukrainische Diversanten auf der Krim - auf ihrer eigenen Insel, wohlbemerkt. Die Geschichte klingt nach Putin - erstunken und erlogen. Was will der Kremlchef mit neuem Blutvergießen erreichen? Stärkung der Burgmentalität vor den Dumawahlen? Weitere Zugeständnisse des Westens in der Ukraine? Beides? Putin bringt alle Gewissheiten und Werte ins Wanken.
Würde er gefragt, wie er mit einem wie ihm verfahren würde: die Kante zeigen, würde er antworten. Das wagt aber keiner. Zu guter Letzt kündigte er noch das Gespräch in der Normandie-Gruppe auf. Er will keinen Dialog. Schlechte Nachrichten für die Experten der deutschen Dialogtherapie.

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