SPD besinnt sich ihrer Wurzeln

BERLIN. Kurz vor der Bundestagswahl geben sich die Spitzenpolitiker bei den Gewerkschaften die Klinke in die Hand. Am Dienstag dieser Woche war Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel bei DGB-Chef Michael Sommer zu Gast. Gestern machte Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) seine Aufwartung.

Das Gespräch Schröder mit Sommer und den Vorsitzenden der Einzel-Organisationen dauerte nur 45 Minuten. Doch auch ein längerer Plausch hätte das entspannte Verhältnis zwischen beiden Seiten kaum trüben können. "Von der Atomsphäre und der Freundlichkeit her war es ein absolutes Heimspiel", stellte Schröder danach mit breitem Lächeln klar. Und auch Michael Sommer lobte das "Maß an Übereinstimmung" mit dem Regierungschef. Das war nicht immer so.Agenda-Frust scheint verflogen

Im Vorjahr mobilisierten die Gewerkschaften hunderttausende Demonstranten gegen die rot-grüne Arbeitsmarktreform. Verdi-Chef Frank Bsirske warf Schröder gar politisches Scheitern vor. Und der Kanzler keilte kräftig zurück. Nun ist die gewerkschaftlich angefeindete Agenda 2010 zwar weiter in Kraft. Manchen Arbeitnehmervertretern schwant jedoch, dass mit einem Regierungswechsel alles noch viel schlimmer werden könnte. So war die Begegnung mit Angela Merkel vor drei Tagen auch wenig ersprießlich. Haben sich CDU und CSU doch massive Eingriffe in das Tarifrecht, die weitere Aufweichung des Kündigungsschutzes sowie eine Besteuerung der Feiertags- und Nachtzuschläge auf ihre Fahnen geschrieben - für den DGB ein wahrer Horror-Katalog. Die SPD versucht dagegen schon seit Monaten, ihr angekratztes Image bei den Arbeitnehmervertretungen aufzupolieren. Der Kanzler gibt sich bei jeder Gelegenheit wieder als Hüter der Arbeitnehmerrechte. Und auch das Wahlprogramm der Genossen kommt Sommer & Co entgegen. Betriebliche Bündnisse zur Liquidierung des gewerkschaftlichen Einflusses werden darin rundweg abgelehnt. Dafür will die SPD bei Hartz IV nachbessern und die Regelsätze in Ost und West vereinheitlichen. Zugleich macht sie sich für die Einführung eines Mindestlohns stark. Darüber hinaus soll die für 2006 vorgesehene Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I erst im Jahr 2008 greifen. Kein Wunder also, wenn DGB-Chef Sommer dem Kanzler gestern "eine deutliche Hinwendung" zu Themen bescheinigte, "die wir auch vertreten". Hinter verschlossen Türen gab es freilich die Sorge, solche Vorhaben könnten bloße Wahlkampfschlager sein. Durch die vorgezogene Neuwahl verschwand zum Beispiel die vorgesehene Nachbesserung beim Arbeitslosengeld I in der parlamentarischen Versenkung, obwohl sie der Bundesrat nicht verhindern könnte. Teilnehmern zu Folge versprach Schröder, sich weiter darum zu kümmern. Auch für einen Hinweis von Frank Bsirske sei der Kanzler sehr aufgeschlossen gewesen. Der Verdi-Chef empfahl, sich an Großbritannien ein Beispiel zu nehmen. Dort wird der einheitliche Mindestlohn von einer Verhandlungskommission aus Gewerkschaftern und Arbeitgebern bestimmt. Eine ausdrückliche Wahlempfehlung zu Gunsten der SPD mochte DGB-Chef Sommer dann vor laufenden Kameras zwar nicht abgeben. Aber der Kanzler hatte trotzdem "keinen Zweifel, dass die SPD die bevorzugte Partei der Mitglieder der deutschen Gewerkschaften ist". Bei den Wahlkämpfen 1998 und 2002 gab es auch keine zentrale Empfehlung. Doch hatten Brachengewerkschaften wie etwa die IG Metall ihre Mitglieder animiert, das Kreuzchen bei den Genossen zu machen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, sagte nach dem Treffen, er "persönlich" stehe zu einer Fortsetzung von Rot-Grün. Vor wenigen Tagen war ein Wahlaufruf von Gewerkschaftern zu Gunsten der SPD veröffentlicht worden. Zu den Unterzeichnern gehörten Funktionäre der IG Metall und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Trotzdem sind längst nicht alle Gewerkschafter gut auf die SPD zu sprechen. Schließlich wanderten viele zur WASG ab, die im Schlepptau der Linkspartei den Sozialdemokraten Konkurrenz macht. Die Lafontaine-Truppe war beim Treffen mit dem Kanzler aber kein Thema. DGB-Chef Sommer weigert sich ohnehin, mit "Linksaußen" ins Gespräch zu kommen.

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