"Sagt einfach die Wahrheit!"

TRIER. So ganz entspannt ist das Verhältnis zwischen Bürgern und Politikern hierzulande nicht – ganz unabhängig von der Partei-Präferenz. Das merkt man anfangs auch beim TV-Diskussionsforum zum Thema "Arbeitsmarkt". Da ist einiges an Misstrauen zu überwinden. Um so spannender, aber trotzdem rundum sachlich entwickelt sich später die Diskussion.

Gleich zu Beginn gibt es für die Kandidaten Gelegenheit zu einer politischen Bestandsaufnahme. Wie nicht anders zu erwarten, fällt die Bilanz durchaus unterschiedlich aus. Peter Rauen zeichnet ein düsteres Bild. 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze seien in Deutschland seit 1999 verloren gegangen. Milliardenlöcher in den Sozialkassen, fehlende Steuereinnahmen: Die Arbeitslosigkeit sei "das zentrale Thema überhaupt". Als Ursache hat Rauen die Reduzierung der Arbeitszeit und überbordende Sozialleistungen ausgemacht - "auch schon zu Zeiten der CDU-Regierung", wie er selbstkritisch anmerkt. Zu viel Brutto, zu wenig Netto für den Arbeitnehmer - wegen zu hoher Nebenkosten. Die habe man in den letzten Jahren schon gesenkt, hält Karl Diller dagegen, ebenso wie den Lohnsteueranteil und die Unternehmenssteuern. Eine GmbH in Deutschland werde heute fast auf Luxemburger Niveau besteuert. Sogar den Kündigungsschutz habe man gelockert, freilich ohne große Wirkung. Die Hartz-Reformen hält Diller für sinnvoll, weist aber darauf hin, dass vergleichbare Maßnahmen in anderen Ländern ihre Wirkung in der Regel erst nach mehreren Jahren entfaltet hätten.Wieviel Spielraum hat Politik überhaupt noch?

Den TV-Lesern in der Runde sind die Argumente der Politiker nicht konkret genug. Zu wenig und zu inkonsequent sei gehandelt worden, moniert Paul Adams. Er fordert eine deutlichere Senkung der Lohnnebenkosten. "Wie wollen Sie das finanzieren?", fragt Karl Diller nach. Adams macht keinen Hehl daraus, dass er die Leistungen reduzieren würde. Auch wenn es schmerzt. Aber auch ein Bürokratie-Abbau tue Not, sagt Paul Adams, "und das würde niemandem weh tun". Bernd Steinmetz wirft die Frage auf, inwieweit ein einzelnes Land im Zeitalter der Globalisierung überhaupt noch eine eigenständige Politik machen könne - sie bleibt unbeantwortet. Der promovierte Sozialwissenschaftler glaubt nicht an Patentlösungen nach dem Motto "Mehr Wachstum + weniger Lohn = mehr Arbeitsplätze". Dafür gebe es einfach zu wenig klassische Arbeit. Seine Überlegungen gehen in Richtung einer Grundsicherung für alle und einer neuen Definition des Begriffes Arbeit. Für Unternehmer Rauen sind das "theoretische Ideen". Arbeit gebe es "satt" in Deutschland , nur werde sie von Schwarzarbeitern geleistet, weil niemand sozialversicherungspflichtige Tätigkeit bezahlen könne. Die Regierung habe zu sehr auf die verbliebenen fünf Millionen Industrie-Arbeitsplätze gesetzt, dabei könne man die glatt "vergessen". Job-Motor sei allein der Mittelstand mit über 20 Millionen Beschäftigten. Da erntet er freilich Widerspruch vom Experten Hans Dieter Kaeswurm. Die meisten Industrie-Arbeitsplätze sicherten "nebenbei" die Jobs bei mittelständischen Zulieferern, sagt der oberste Trierer Arbeitsvermittler. Für Kaeswurm der springende Punkt: Nur ein "Zuwachs von Arbeit" könne das Problem lösen. Will heißen: mehr Konsum, mehr Dienstleistungen. Dafür brauche man aber eine stärkere Binnen-Nachfrage. Die bleibe aus, nicht weil die Bürger kein Geld hätten, sondern weil sie es mangels Vertrauens in die Gesamt-Entwicklung lieber zusammen halten. Da nickt Karl Diller zustimmend, aber wie er die Vertrauenskrise lösen will, kann er ebenso wenig beantworten wie Peter Rauen. Die Bürger wollten ein stimmiges, schlüssiges Gesamt-Konzept, wirft Paul Adams ein. Das könne eine große Volkspartei nicht liefern, antwortet Peter Rauen, dafür seien "die Interessen zu unterschiedlich". Unbefriedigend für Brigitte Meyer, ebenso wie die praktischen Erfahrungen, die sie bei der Arbeitsvermittlung gemacht hat. Sie habe sich das mit dem Fördern und Fordern bei Hartz IV "ganz anders vorgestellt". "Nur 400-Euro-Jobs" habe man ihr angeboten, "zu wenig, um davon zu leben". Aber sie werde doch durch andere Leistungen abgefedert, merkt Karl Diller an. Brigitte Meyer erzählt, dass sie im Moment ihre Zeit nutzt, um den Haushalt ihrer Eltern zu betreuen. "Das ist doch eigentlich auch Arbeit", sagt sie. Rauen und Diller signalisieren Zustimmung. Haus und Garten als potenzieller Arbeitsplatz, mit der Möglichkeit für Privathaushalte, entsprechende Arbeitnehmer-Kosten ebenso abzusetzen wie bei einem Unternehmen: Da ließe sich vielleicht zusätzliche Arbeit schaffen. "Den Einstieg haben wir durch neue steuerliche Möglichkeiten schon gemacht", sagt Diller. "Aber noch viel zu zaghaft", kritisiert Rauen. Den von Bernd Steinmetz angespochenen weitergehenden Schritt, durch eine "negative Einkommenssteuer" auch die häusliche Tätigkeit innerhalb der Familie als eine Art Erwerbsarbeit anzuerkennen, stößt auf unterschiedliches Echo. "Grundsätzlich kein falscher Ansatz", befindet Peter Rauen. "Das würde unser Steuersystem zum Explodieren bringen", fürchtet Karl Diller. Die geplanten eineinhalb Stunden für das Themenforum reichen nicht aus. Die Runde diskutiert einfach weiter, und zum Schluss geht es noch mal ans Eingemachte: Die Frage der praktischen Umsetzung. "Das steht in unserem Wahlprogramm alles drin", sagt Rauen. "Ach, Programme", schießt Paul Adams zurück und sinniert, warum Politiker "nicht gezwungen werden können, eine solide Finanzpolitik zu betreiben, schon wegen der nächsten Generation". So ganz allein seien die Politiker aber auch nicht schuld, räumt Adams ein: "Wenn jemand unangenehme Wahrheiten ankündigt, dann wird er von vielen nicht gewählt." Trotzdem führe an der Wahrheit kein Weg vorbei, formuliert Bernd Steinmetz sein Fazit. Aber um die zu vermitteln, müssten Politiker "mehr mit den Menschen kommunizieren - und zwar nicht nur in Wahlkampfzeiten". Nicht nur darüber herrscht am Ende Einigkeit. Dass das gesellschaftliche und politische System angesichts immer abrupter wechselnder Rahmenbedingungen viel reaktionsschneller werden muss: Da nicken alle. Auch dass dafür eine radikale Föderalimus- und Verwaltungsreform nötig kommen muss, ist Konsens. Ein Feld, auf dem die Parteien und ihre Abgeordneten Handlungsfähigkeit demonstrieren könnten, wenn sie wollten - auch im Zeitalter der Globalisierung. S Der Diskussion stellten sich die Abgeordneten Karl Diller , SPD, gewählter Direktkandidat im Wahlkreis Trier/Trier-Saarburg, und Peter Rauen , CDU, gewählter Direktkandidat im Wahlkreis Eifel. Karl Diller ist Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Peter Rauen ist Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandvereinigung. Die TV-Leser waren Brigitte Meyer , 46, Arbeitslose aus Zemmer, Paul Adams , 54, Personalmanager bei der Raiffeisenbank Bernkastel-Wittlich und Dr. Bernd Steinmetz , 48, Sozialpädagoge, zuständig für den Bereich Technik, Beruf, Arbeitswelt an der Katholischen Akademie Trier. Als Experte war Hans Dieter Kaeswurm , Leiter der Agentur für Arbeit in Trier, eingeladen.

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