"Schande, Fehler, atemberaubendes Ereignis"

Berlin. Die Krise in der Nato sowie zwischen den USA und den kriegskritischen Ländern Europas hat sich zugespitzt. Dabei sorgte die Bundesregierung für Verwirrung, weil sie sich erst nach Ablauf der Einspruchsfrist (Montag 10 Uhr) dem Veto Frankreichs und Belgiens gegen die Bereitstellung von militärischen Schutzmaßnahmen für die Türkei angeschlossen hat.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld reagierte mit scharfen Worten: Die Entscheidung der drei Neinsager-Länder sei eine "Schande", sagte er der Londoner "Times". Drohend fügte er hinzu, dies werde "noch Folgen haben". Bereits zuvor hatte er gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" von einem "schrecklichen Fehler" und einem "überraschenden, atemberaubenden Ereignis" gesprochen. Kein Geheimplan, nur Überlegungen

Berlin im Ausnahmezustand. Keiner weiß genau, wo es lang geht, und der Kanzler schweigt. Auch in einer 80-minütigen Pressekonferenz konnte Regierungssprecher Bela Anda nicht erklären, was es mit dem deutsch-französischen "Geheimplan", der am Wochenende Aufregung verursacht hatte, nun auf sich hat. Es handele sich keineswegs um einen Geheimplan, sondern um "Überlegungen", die sich in einem Abstimmungsprozess zwischen beiden Regierungen befänden. Die "Ideen", in denen der Einsatz von UN-Blauhelmen nicht vorkomme, basierten auf den Vorschlägen des französischen Außenministers Dominique de Villepin im UN-Sicherheitsrat. Dort hatte Villepin am vergangenen Mittwoch eine Ausweitung der Inspektionen im Irak verlangt ("Verdoppeln wir, verdreifachen wir die Zahl"). Frankreich sei im Interesse des Friedens bereit, "alle verfügbaren Mittel" bereit zustellen. Dieser Ankündigung hatte Joschka Fischer erfreut zugestimmt. Um so verärgerter war er am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als plötzlich Meldungen des "Spiegel" kursierten, wonach eine entsprechende deutsch-französische Initiative schon im konkreten Planungsstadium sei - und er als deutscher Außenminister offenbar ebenso wenig auf dem Laufenden war wie Verteidigungsminister Peter Struck. "Stinksauer", hieß es aus Teilnehmerkreisen, habe Fischer daraufhin den Kanzler zur Rede gestellt. Die "Bild"-Zeitung wollte gar erfahren haben, die beiden hätten sich "angebrüllt". Nach Informationen unseres Berliner Büros war jedenfalls "die Phonstärke etwas höher" als sonst, was aber nach Angaben von Fischer-Sprecher Lindner nichts weiter zu bedeuten habe. Das Verhältnis zwischen Kanzler und Außenminister sei nach wie vor gut, ja "excellent" und vertrauensvoll. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Fischer hatte zuvor schon Schröders absoluten Antikriegs-Kurs heftig kritisiert, weil dadurch "mein Handlungsspielraum eingeengt ist". Am Sonntag Nachmittag haben sich die beiden im Kanzleramt "ausgesprochen". Die Grünen bestritten am Montag einen Krach zwischen Schröder und Fischer. Entsprechende Meldungen seien "frei konstruiert", sagte Parteichef Reinhard Bütikofer. Fischer, der an dem Treffen teilnahm, wollte sich nicht äußern. Die Opposition streute ebenso genüsslich wie entsetzt Salz in die rot-grünen Wunden: Das sei "das totale Durcheinander", meinte der CDU-Außenexperte Volker Rühe. Sein Kollege Friedbert Pflüger sah den "diplomatischen Supergau", während FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper spottete, Schröder habe den Außenminister "praktisch seines Amtes enthoben". Ungeklärt blieb am Montag, warum sich Deutschland im Nato-Rat erst verspätet dem Veto Frankreichs und Belgiens angeschlossen hat. Man sei sich jedenfalls einig gewesen, die "Kriegslogik" (Belgiens Außenminister Louis Michel) der Amerikaner nicht zu unterstützen, hieß es aus Regierungskreisen. Deshalb habe man auch der direkten Entsendung von "Patriot"-Abwehrraketen an die Türkei nicht zustimmen können. Dennoch hat die Bundesregierung in einer diplomatischen Verrenkung beschlossen, dem Wunsch der Türkei und der USA indirekt nachzukommen: Jetzt sollen den Niederlanden, die die Türkei beliefern wollen, zwei Raketenwerfer mit je vier Flugkörpern zur Verfügung gestellt werden, allerdings ohne deutsche Soldaten. Sollte die Türkei jedoch mit der Beanspruchung des Artikels vier des Nato-Vertrages Erfolg haben (sieht konkrete Beratungen vor, wenn sich ein Mitglied in seiner Sicherheit bedroht fühlt), müsste notfalls auch die Bundesrepublik Hilfen bereitstellen. "Dann geht", so ein Regierungsmitglied, "die Prozedur von vorne los". Entsprechend zurückhaltend reagierte am Montag die britische Regierung. Das Veto sei "nicht endgültig", hieß es in London. Auch Regierungssprecher Anda betonte, das Bündnis hätte schon "viele solcher Fälle erlebt und gut bewältigt". Dagegen sprach Nato-Generalsekretär George Robertson von einer "zweifellos schwierigen Situation", Spaniens Verteidigungsminister Frederico Trillo gar von einem "schweren Bruch innerhalb der Allianz" und einem "erbärmlichen Signal". Regierung setzt Hoffnung in Putin

Die völlig verkorkste Lage soll auch auf dem Sondergipfel der EU in Brüssel beraten werden. Deutschland begrüße diesen Vorstoß der griechischen Ratspräsidentschaft ausdrücklich, sagte Anda, der zugleich die Hoffnung ausdrückte, dass die deutsch-französische Initiative im Sicherheitsrat der UN am kommenden Freitag "breite Unterstützung" erfährt. Die Bundesregierung habe jedenfalls berechtigte Hoffnungen, dass sich auch andere Länder, insbesondere die Veto-Macht Russland, anschließen werden. Präsident Wladimir Putin habe dies am Sonntag beim Treffen mit Kanzler Schröder in Berlin "deutlich signalisiert".

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