Schläge unter die Gürtellinie

BERLIN. Als "völlig unerträglich" hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die Angriffe des SPD-Linken Michael Müller auf Bundespräsident Horst Köhler zurückweisen lassen. Schröder habe keinen Verdacht, dass Informationen über den geplanten Weg zur Bundestags-Neuwahl aus dem Präsidialamt stammten, sagte Regierungssprecher Anda.

Es klang schon ziemlich gekünstelt, wie Regierungssprecher Bela Anda gestern auf die Vorwürfe des SPD-Linken Michael Müller gegen Staatsoberhaut Horst Köhler reagierte: "Was man da gehört hat, sind völlig unerträgliche Angriffe auf den Bundespräsidenten", kommentierte Anda leidenschaftslos. Der SPD-Fraktionsvize Müller hatte gleich in mehreren Interviews Köhler attackiert und angedeutet, der Präsident habe Details aus seinem Telefongespräch mit Kanzler Gerhard Schröder über Neuwahlen an die Öffentlichkeit gebracht. Eigentlich hätte Anda zu diesem deftigen Angriff aber gar nichts sagen müssen, schließlich ist er der Sprecher des Kanzlers und nicht des Präsidenten. Doch die ohnehin aufgeheizte Stimmung in Berlin wird immer aggressiver. Und auch das Verhältnis von Schröder und Köhler, dem Unionsmann im Berliner Schloss Charlottenburg, das offiziell natürlich als "gut und vertrauensvoll" beschrieben wird, ist inzwischen mehr denn je geprägt von gegenseitigem Misstrauen und Argwohn. Jetzt, wo Berlin Kopf steht und der Kanzler auf Köhler angewiesen ist, musste Anda also pflichtgemäß noch schnell versuchen, öffentlich ein wenig zu glätten, was im Prinzip nicht mehr zu glätten ist. Es geht drunter und drüber in der Hauptstadt. Die Spitzengenossen haben derzeit nur noch damit zu tun, kategorisch Gerüchte zu dementieren und Personalfragen gerade zu rücken. Für Inhalte, wie Fraktionsvize Müller beklagt, ist da kein Platz mehr. Das hat allerdings auch Gründe: Nach dem Neuwahl-Coup des Kanzlers und des SPD-Chefs Müntefering brodelt es wie noch nie in der Partei, da niemand weiß, wie Vertrauensfrage und Neuwahlen organisiert werden sollen. Die Folge: Es rollt nun eine "Spekulationswelle" (Fraktionsvize Ludwig Stiegler) sondergleichen über die Genossen hinweg. Und weil viele Sozialdemokraten ihre Felle bei einer Bundestagswahl im September davon schwimmen sehen, gehen ihnen verbal die Nerven durch: Als "gequirlter Mist" und als "Stinkbombe" wurde beispielsweise die Nachricht bezeichnet, die SPD werde auf die Wahlen verzichten und Franz Müntefering zum Kanzler machen. Amtsführung ein Dorn im Auge

Michael Müller beschimpfte die Urheber derartiger Berichte sogar als "Dreckschweine". Kein Kurzschluss sind solche Schläge unter die sprachliche Gürtellinie, sondern Ausdruck eines tief sitzenden Frustes, der sich nun auch gegen Präsident Köhler richtet. Dabei geht es nur vordergründig darum, wer eigentlich die Informationen aus dem vertraulichen Gespräch zwischen Köhler und Schröder weitergegeben hat. Keiner will es gewesen sein, logisch. Dass das Staatsoberhaupt nach der NRW-Wahl vom Neuwahl-Coup der Genossen überrumpelt wurde und pikiert darauf reagiert hat, steht allerdings außer Frage. In Wahrheit aber ist den SPD'lern die Amtsführung des Präsidenten ein großer Dorn im Auge: "Köhler geriert sich als CDU-Bundespräsident", gibt Ludwig Stiegler die Stimmung bei der SPD freimütig wieder. Nicht vergessen haben die Sozialdemokraten, wie sich das Staatsoberhaupt bei der Verschiebung des Nationalfeiertags vom 3. Oktober auf einen Sonntag quer stellte. Neben dem Streit mit Köhler machen weitere Gerüchte den Genossen das Leben schwer. So widersprach die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (Afa) in der SPD Berichten, sie wolle einen Gegenkandidaten zu Schröder aufstellen. Und Ministerpräsident Kurt Beck dementierte, dass er nach einer Wahlniederlage den Parteivorsitzenden Müntefering beerbe (siehe dazu auch unten stehenden Bericht).

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