Schröder verlangt "Opfer von vielen"

Berlin . Die Erwartungen sind hoch: Bundeskanzler Gerhard Schröder will am Freitag im Bundestag seine "Rede zur Lage der Nation" halten, die nach langen Monaten des Zögerns und Zauderns den beschworenen Kurswechsel einleiten soll.

Der Freitag, sagt Industrie-Chef Michael Rogowski, "wird ein Schicksalstag für Deutschland". Wer dann noch nicht begreife, was die Stunde geschlagen habe, meint Superminister Wolfgang Clement, "der wird es nie begreifen". Schröder hat das Volk und seine SPD-Genossen auf die große Rede vorbereitet. "Der Veränderungsprozess ist notwendig, um den Sozialstaat zu erhalten", sagte er kürzlich. Daher wolle er den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme in Ordnung bringen, und dabei "aufs Tempo drücken". Die Bedingungen, die Schröder zu seinem Befreiungsschlag getrieben haben, könnten schlechter nicht sein: 4,7 Millionen Arbeitslose (offiziell), praktisches Nullwachstum, Rekordverschuldung der öffentlichen Kassen, Reformstau, gesellschaftliche Depression, historischer Absturz der Volkspartei SPD. Ein Kaninchen wird der Kanzler wohl kaum aus dem Hut zaubern: Das als "Initialzündung" verstandene Vorziehen der Steuerreformstufe 2005, von der Wirtschaft und der FDP gefordert, soll es dem Vernehmen nach nicht geben. Begründung: "Nicht finanzierbar". Als Kernpunkt seines Reformprogramms, das die zentralen Komplexe Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem und Gemeindefinanzen enthält, sieht Schröder offenbar das geplante Billigzins-Kreditprogramm in Höhe von insgesamt 15 Milliarden Euro an, mit dem die Bauwirtschaft und die Kommunen unterstützt werden sollen. Das hört sich besser an als es ist: Die hoch verschuldeten Kommunen etwa wollen keine Kredite, sondern "cash". Wie groß der Anteil der Zuschüsse ist, wollte Schröder jedoch noch nicht verraten. Auch sonst hielt sich der Kanzler bedeckt. Geheimnisvoll deutete er "Opfer von vielen" an. Wie es aus Fraktionskreisen hieß, erwägt Rot-Grün zur Senkung der Lohnnebenkosten eine "spürbare Verkürzung" der Sozialleistungen: Reduzierung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe auf verringertem Niveau, Kürzung des Krankengeldes, Einführung einer privaten Pflichtversicherung für Freizeit- und Sportunfälle,Lockerung des Kündigungsschutzes. Das soll Krankenkassen entlasten und Arbeitskosten senken. CDU: Aus Currywurst wird kein Rinderfilet

Die Mehrheit der Reformschritte, die nach Angaben von SPD-Fraktionschef Franz Müntefering im Sommer abgeschlossen sein sollen, sind hinreichend bekannt. Der "Ruck-Effekt", den sich Schröder erhofft, kann deshalb recht bescheiden ausfallen. Zudem könnte die Gerechtigkeits-Debatte, die sich unweigerlich anschließen wird, abermals den Zustand der allgemeinen Verwirrung herstellen. Die Opposition im Bundestag will am Freitag schweres Geschütz auffahren. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Volker Kauder, prophezeit: "Über Nacht kann aus einer Currywurst kein Rinderfilet werden."

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