„Schuldenerlass fast wirkungslos“

NEUWIED. Entwicklungshilfe ist eins der dominierenden Themen beim G8-Gipfel, zu dem Vertreter der sieben größten Industriestaaten und Russlands im schottischen Gleneagles zusammen gekommen sind. Sie werden voraussichtlich einen Schuldenerlass für 18 der ärmsten Länder beschließen. Begrüßenswert? Nur sehr eingeschränkt, findet Sabine Ferenschild vom Ökumenischen Netz Rhein-Mosel-Saar in Neuwied, das unter anderem vom Katholikenrat im Bistum Trier getragen wird und die Kampagne „Erlassjahr 2000“ unterstützt.

Das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar kämpft seit Jahren dafür, dass Entwicklungsländern Schulden erlassen werden. Warum ist dieses Thema so wichtig?

Ferenschild: Weil die internationale Verschuldung vielen armen Ländern die Möglichkeit raubt, ihre eigenen finanziellen Mittel für soziale Entwicklungen einzusetzen. Schuldendienst verhindert direkt Entwicklung – zum Beispiel im Bildungs- und Gesundheitsbereich.

Trotzdem stehen Sie dem Schuldenerlass, den die G 8 wahrscheinlich beschließen, skeptisch gegenüber. Ferenschild: Dieser Schuldenerlass wird nicht viel bewirken. Das belegen die Erfahrungen der letzten großen Schuldenerlass-Initiative 1999. Die damals begünstigten Länder – Bolivien zum Beispiel, das Partnerland des Bistums Trier – konnten nur die Verluste, die sie durch die Globalisierung erlitten, etwas auffangen. Wirklicher Spielraum für soziale Entwicklung ist nicht entstanden. Dieses Mal soll der Schuldenerlass Bolivien ermöglichen, statt 24 Prozent seiner Exporterlöse nur noch 10,5 Prozent in den Schuldendienst zu stecken. Das könnte dazu führen, dass verstärkt Lehrer eingestellt werden und das Gesundheitswesen ausgebaut wird. Aber ich fürchte, dass die härteren Bedingungen im freien globalen Wettbewerb auch diesen Spielraum schnell auffressen werden.

Wie könnte man den Entwicklungsländern nachhaltiger helfen?

Ferenschild: Zunächst einmal müsste es einen Schuldenerlass für alle Staaten geben, die es brauchen – und nicht eine geschlossene Länderliste, die nicht wirklich nachvollziehbar ist. Dann wäre wichtig, dass man den Erlass-Bedarf der armen Länder individuell berechnet. Das heißt, dass man eine Grundsicherung berechnet, das, was für die Bevölkerung da sein muss. Und nur das, was darüber hinaus an Einkommen des Staates da ist, könnte überhaupt in den Schuldendienst fließen.

Sie fordern den Erlass aller illegitimen Schulden. Was meinen Sie damit?

Ferenschild: Die Industrieländer haben zum Teil großzügig Kredite an Diktatoren vergeben, ohne danach zu fragen, wofür diese Gelder eingesetzt werden, und so teils horrende Rüstungsprojekte finanziert. Jetzt müssen die mittlerweile zu Demokratien gewordenen Staaten diese illegitimen Schulden zurückzahlen. Und das geschieht natürlich auf dem Rücken der Bevölkerungen.

Sie kritisieren auch die Strukturanpassungsprogramme, an die der Schuldenerlass gekoppelt ist. Warum?

Ferenschild: Der Schuldenerlass wird den südlichen Ländern nicht geschenkt. Sie erkaufen ihn durch Auflagen, durch so genannte Strukturanpassungsprogramme. Diese sehen in der Regel vor, dass sie sich für die globalisierten Märkte öffnen. Das ist im Interesse der Industrieländer, die Interesse an den südlichen Märkten haben.

Kämen offene Märkte nicht auch den armen Länder zugute, weil sie exportieren könnten?

Ferenschild: Das ist nur die halbe Wahrheit. Marktöffnungen stärken erst einmal die starken Spieler. Die großen Zuckerproduzenten in Brasilien hätten beispielsweise viel mehr Chancen auf einem geöffneten EU-Markt als kleinere Produzenten in Mittelamerika und in Afrika. Und dann stärkt dieses Modell der Marktöffnung eine exportorientierte Wirtschaft. Wir wissen aus all unseren Umweltdiskussionen, dass gerade die exportorientierte Wirtschaftsweise extrem umweltbelastend ist. Statt Binnenmärkte und regionales Wirtschaften zu stärken, setzt dieses Modell weiterhin auf einen Produkttransfer von Süd nach Nord.

Ihr Fazit müsste folglich lauten, dass der jetzt vorgesehene Schuldenerlass keinen Sinn macht?

Ferenschild: Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, löst die Probleme der ärmsten Länder aber nicht grundsätzlich. Und die politischen Rahmenbedingungen machen ihn sehr fragwürdig. Dieser Schuldenerlass ist auch in dem Kontext zu sehen, dass Liberalisierung und Neoliberalismus sich stärker legitimieren wollen. Beide Programme haben in letzter Zeit an Legitimität verloren – das, was man weltweit mit ihnen verbindet, ist Sozialabbau. Durch den Schuldenerlass geben sich die neoliberalen Vorreiter wieder so etwas wie ein freundliches Gesicht.

Mit Sabine Ferenschild sprach TV-Redakteurin Inge Kreutz.

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