"Schwarze Schafe gibt es immer"

NEUERBURG. Halb verdurstet, wund gelegen und keinerlei Zuwendung: Hubert Heck kann solche Horrorgeschichten über Altenheime nicht mehr hören. "Das darf man so nicht stehen lassen", sagt der Betreiber des Seniorenhauses Berghof in Neuerburg. Er lud den TV ein, einen Tag in seiner Einrichtung zu verbringen. Wir nahmen an.

Sessel an Sessel sitzen alte Menschen an der langen Fensterfront. Einige haben Decken auf den Schoß oder um die Beine gelegt. Sie dösen, unterhalten sich oder blicken umher. In der Ecke zwitschert ein Kanarienvogel in seinem Käfig. Am großen Tisch in der Mitte des Raumes hockt Katrin Volk und bastelt Frühlingsdekorationen. Sie ist für das Freizeitprogramm im Neuerburger Seniorenhaus Berghof zuständig. Die vier alten Damen um sie herum schauen zu. "Viele unserer Bewohner arbeiten lieber etwas Handfestes", erzählt Volk. "Sie schälen Kartoffeln oder falten Wäsche." Die Pflegekräfte machen derweil die letzten der rund 50 Berghof-Bewohner fit für den Tag. Seit 6.45 Uhr sind sie im Einsatz, schauen nach, wer wach ist, helfen aus dem Bett, beim Waschen und Ankleiden. Wie steht's um die viel beklagten engen Zeitfenster? Im Berghof teile sich jede Kraft ihre Zeit selbst ein, sagt Krankenschwester Barbara Johannsmann. Den Vorgaben des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen kann freilich auch sie wenig abgewinnen: "Man verlangt zum Beispiel, dass wir den Blutdruck messen. Bezahlt wird das jedoch nicht." Ob man für die alten Menschen ein paar nette Worte übrig hat, hängt für Johannsmann allerdings weniger von der Zeit ab: "Das ist eine Frage der Persönlichkeit." Ein gutes Haus muss sein Personal sorgfältig auswählen - davon ist Berghof-Chef Hubert Heck überzeugt. Auch, wenn es angesichts attraktiver Jobs im nahen Luxemburg nicht immer einfach ist: "Wir stellen nur Leute ein, die alte Menschen mögen." Rund 50 Angestellte arbeiten auf dem Berghof, von der examinierten Pflegekraft bis zum Ein-Euro-Jobber. Ergänzt wird das Personal durch Ehrenamtliche, die regelmäßig zu Besuch kommen, wie Heck dankbar erzählt. Auf dem Berghof lege man großen Wert darauf, dass jeder Bewohner jeden Tag aufstehe, erzählt Johannsmann. Wer nicht in die Gemeinschaftsräume möchte, erhält alle zwei Stunden Besuch in seinem Zimmer. "Wie fühlen Sie sich?", fragt die Krankenschwester einen alten Mann bei einem solchen Rundgang. Sie befühlt seine Haut. "Zu trocken! Bitte versuchen Sie, mehr zu trinken! Das ist sehr wichtig, hören Sie?" Im Zimmer nebenan wird eine schwer Kranke umgelagert, hier bekommt jemand eine Streicheleinheit, dort einen freundlichen Spruch. Essenszeit. Cornelia Fischer nimmt ein Stück Kartoffel mit Soße auf die Gabel und hält es einer Frau vor den Mund. Keine Reaktion. Die stellvertretende Pflegedienstleiterin spricht der Seniorin gut zu, streicht ihr etwas von der Speise auf die Lippen. Nichts. "Sehen Sie mich an", sagt sie eindringlich, öffnet den Mund, macht Essbewegungen. Endlich: Die Frau nimmt die Kartoffeln, kaut, schluckt. "Manche Demente wissen nicht mehr, wozu Essen da ist, was man damit macht", erzählt Fischer. Mittag für Mittag erklären es ihnen die Pflegekräfte von Neuem. Manchmal müssen sie sanfte Gewalt anwenden, um einen Bewohner überhaupt an den Tisch zu bekommen. "Wir drängen ihn, etwas zu tun, was er nicht will. Ließen wir ihm seinen Willen, würde er verhungern", beschreibt Fischer den Konflikt. Wäre es für diese Menschen besser, mit einer Magensonde ernährt zu werden - mit der Folge noch größerer Unselbstständigkeit? Schwierige Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Pflegealltag. "Jeder wünscht sich, zu Hause zu bleiben"

Im Büro sitzt Barbara Johannsmann mit einer neuen Bewohnerin und geht einen Fragebogen durch: "Bekommen Sie genug zu trinken? Wie lange dauert es, bis jemand kommt, wenn Sie klingeln?" Solche Gespräche werden regelmäßig mit allen Senioren geführt. "Haben Sie Wünsche?" Die Seniorin schluckt. "Dass ich wieder nach Hause kann." Auf dem Berghof macht man sich nichts vor: "Zu Hause ist es immer am besten. Jeder wünscht sich, dort zu bleiben", sagt Johannsmann. Doch man müsse von Fall zu Fall sehen, was dort geleistet werden könne, die Belastbarkeit der Familie abschätzen. Nicht für jeden sei die Betreuung daheim das Beste. Verständnis, Harmonie, Fürsorge: Das ist das, was die Mitarbeiter auf dem Berghof an diesem Tag ausstrahlen. Was halten sie von den regelmäßig auftauchenden Vorwürfen gegenüber Seniorenheimen? "Schwarze Schafe gibt es immer", sagt Cornelia Fischer. "Ich glaube schon, dass es Häuser gibt, in denen es den Leuten nicht so gut geht wie hier."

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