Schwierige Annäherung beim Nato-Gipfel in Brüssel

Brüssel · Beim Besuch von Donald Trump bei Nato und EU schmilzt das Eis zwischen dem US-Präsidenten und den Europäern nicht.

Bis zuletzt ist die Nervosität in Brüssel groß, welchen Ton US-Präsident bei seinem ersten Besuch anschlagen würde. Im Februar hat er die belgische Hauptstadt noch "Höllennest" genannt. Kommt er in freundlicher Mission? Oder wird er polternd auftreten? Dass es die harte Linie werden würde, muss spätestens ab Mittwoch nacht befürchtet werden. Da kündigt der amerikanische Außenminister Rex Tillerson auf dem Transatlantikflug gegenüber Journalisten an, Trump werde "sehr deutlich" machen, dass die Europäer mehr für die Verteidigung ausgeben müssten. Was wird er tun? Spektakulär den Nato-Staaten seine Rechnung präsentieren und anmahnen, wie viel Geld jedes einzelne Land der Nato schulde?

Doch der Reihe nach: Bevor es zum Nato-Treffen geht, macht Trump seine Stippvisite bei der EU. Der Ablauf spricht Bände. Mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron trifft er sich immerhin zum Mittagessen. Das Treffen von Trump, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jena-Claude Juncker dauert dafür nur 30 Minuten. Es muss auch recht frostig verlaufen sein. Mit sehr ernster Miene verkündet Tusk später: Man habe über die Themen Sicherheit, Außenpolitik, Klimaschutz und Handels gesprochen. "Wir sind uns in vielen Bereichen einig." Für diplomatische Usancen überraschend kräftig markiert Tusk dann noch, wo sie unterschiedlicher Ansicht sind: beim Klimaschutz und beim Handel. Und er sei "unsicher", so Tusk wörtlich weiter, "ob wir die gleiche Position gegenüber Russland haben." Auch beim Thema Brexit, den Trump früher als großartig bezeichnet hatte, gibt es Dissonanzen. Wie hochrangige EU-Beamte berichten, äußert Trump die Sorge, der Brexit könne US-Bürger Jobs kosten. Das Motto America first gilt für ihn auch, wenn er in Europa zu Gast ist.

Nach dem Mittagessen fährt der Präsidententross durch die menschenleere Brüsseler Innenstadt raus zum Nato-Gelände. Über eine Milliarde Euro hat das neue voll verglaste Nato-Hauptquartier gekostet, das im Beisein von allen Regierungschefs der Nato übergeben wird. Mit den acht langen Gebäudeflügeln und den vier kurzen bietet sich aus der Vogelperspektive ein Bild in einander verschränkter Finger, das soll Solidarität unterstreichen. Das Hauptquartier ist ohnehin ein Ort voller Symbolik: Es befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflughafens. Von hier starteten im ersten und im zweiten Weltkrieg die Bomber. Neben dem stählernen Nato-Stern am Haupteingang gibt es zwei Kunstwerke, die Meilensteine des Bündnisses markieren: Zwei Stücke der Berliner Mauer erinnern daran, dass die Ost-West-Trennung des Kontinents überwunden ist und viele ehemalige Ostblockstaaten nun Mitglied der größten Militärallianz sind. Daneben mahnt eine Skulptur, die aus Schrott von Ground Zero besteht, an die Terrorangriffe vom 11. September 2001. Danach wurde zum einzigen Mal in der Geschichte der Allianz Artikel 5 aktiviert und damit der Bündnisfall ausgerufen.

Kanzlerin Angela Merkel tritt in Brüssel Trump selbstbewusst entgegen. Bei der Ankunft spricht sie direkt ihren Streitpunkt mit ihm an: die Höhe der Verteidigungsausgabe. Sie freue sich, sagt sie in die Kameras, dass die Nato-Regierungschefs die einschlägigen Beschlüsse dazu beim damaligen Gipfel in Wales bestätigen werden. "Nicht mehr und nicht weniger," so Merkel. Aus dem Mund der Kanzlerin, die sonst sehr zurückhaltend ist, muss diese Bemerkung verstanden werden wie ein auftrumpfendes "Ätsch" an die Adresse von Trump. Sie fügt noch hinzu: Sie freue sich auch, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die finanziellen Anstrengungen Deutschlands gewürdigt habe. "Hier kann sich Deutschland sehen lassen."

Viel Zeit ist nicht beim Treffen der Nato-Regierungschefs. Während die Fahnen aller Nationen feierlich gehisst werden und Kampfflugzeuge sämtlicher Mitgliedsländer über das neue Gebäude donnern, ist Raum für small talk. Das Arbeitsabendessen dauert eine gute Stunde. Zwei große Themen stehen an: Zum einen geht es eben um die Militärausgaben. 2014 hatten die Nato-Staaten in Wales vereinbart, dass jedes Mitglied der Allianz binnen eines Jahrzehntes anstrebt, die Verteidigungsausgaben auf ein Niveau von zwei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung anzuheben. Daran ändert sich nichts. Neu ist, dass nun erstmals die Nato-Mitgliedsstaaten Ende des Jahres nationale Pläne vorlegen wollen, welche Fortschritte sie sich im Folgejahr auf dem Weg dahin konkret vornehmen. Auch dies war zwar schon in Wales vereinbart worden, nur jetzt soll es konkret werden. Die Europäer sehen sich da auf einem guten Weg. 24 von 28 Alliierten haben die Trendumkehr geschafft. Sie kürzen ihre Verteidigungsetats nicht mehr, sondern stocken auf. Gerade die Deutschen glauben, dass sich ihre Bilanz durchaus sehen lassen kann: Zwischen 2014 und 2017 haben die Verteidigungsausgaben um knapp 14 Prozent zugelegt. Deutschland werde 2017 voraussichtlich rund 39,5 Milliarden Euro nach Nato-Definition in die Verteidigung stecken. Damit landet Deutschland bei einem Wert von 1,23 Prozent. Damit ist aber auch klar: bis zur angepeilten Zwei-Prozent-Marke ist es noch ein weiter Weg.

Einen handfesten Beschluss gab es auf dem Treffen ebenfalls: Die Nato tritt nun offizielle der Koalition gegen den IS-Terror bei. Dies ist eher ein symbolischer Schritt. Beteiligen sich doch bereits alle Nato-Mitgliedsländer an diesem Bündnis. Auch Deutschland. Die Bundesregierung und Frankreich waren aber lange Zeit zögerlich, dem formalen Beitritt zuzustimmen. Sie fürchteten, dass in der Krisen-Region mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ein derartiger Schritt Anti-Nato-Reflexe verstärken könnte. Nun ist die Nato formell dabei. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schließt aber Kampfeinsätze für die Nato kategorisch aus. Neben einem "starken politischen Signal der Geschlossenheit" im Kampf gegen den Terror leiste die Nato praktische Unterstützung: Die Awacs-Aufklärungsflugzeuge, die im türkischen Konya stationiert sind, sollen länger in der Luft sein, ein größeres Operationsgebiet haben und ihre Erkenntnisse mit der Anti-IS-Allianz teilen. Auch leiste die Nato Unterstützung bei der Betankung von Einsatzflugzeugen in der Luft.

Kommentar

Ernüchterung: Donald Trump bleibt ein unangenehmer Partner für die Europäer

Die hochsommerlichen Temperaturen haben das Eis nicht schmelzen lassen. Auch nach seinem ersten Besuch in Europa bleibt der US-Präsident für die Europäer ein Fremdkörper. Er fertigt die EU regelrecht ab. Für ihre beiden Führungspersönlichkeiten, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, nimmt er sich nicht viel mehr Zeit als eine Kaffeelänge. Wer gehofft hatte, dass die persönliche Begegnung eine positive Dynamik in Gang setzen würde, ist enttäuscht. Bei wichtigen Politikbereichen sind die Abgründe, die Trump von der EU trennen, nicht geringer geworden. Für die EU mag die schwierige Person Trump letztlich sogar ein Vorteil sein. Trump schweißt die EU stärker zusammen. Die Europäer haben nun die Gelegenheit erwachsen zu werden. Sie müssen erkennen, wie wenig sie von Amerika erwarten dürfen und wie sehr die Zukunft des Kontinents vom Erfolg der EU abhängig ist.

Heikler ist die Lage in der Nato. Hier sitzt Trump mit am Tisch. Er ist Regierungschef des mit Abstand wichtigsten Mitgliedslandes. Da ist es überaus schwierig, wenn der derart problematische Verhaltensweisen an den Tag legt und bei einem Festakt vom Leder zieht wie jetzt wieder in Brüssel. Gut, er hat nicht die Militärallianz an sich in Frage gestellt. Er hat aber den Streit um die Verteidigungsausgaben angeheizt. Er brüskiert die anwesenden Regierungschefs, indem er ihnen vorwirft, Amerika Geld zu schulden. Damit outet er sich als Ignorant. Er tut so, als ob die Nato eine Bank wäre, wo die Mitgliedsländer Geld einzuzahlen hätten. Damit macht er nebenbei auch noch deutlich, wie wenig Respekt er vor Absprachen in der Nato hat: Schließlich wurde in Brüssel ja eben nicht beschlossen, dass es bei dem Fahrplan zu den Verteidigungsausgaben bleibt. Das Zwei-Prozent-Ziel wurde gerade nicht angeschärft.

Seine Willkür ist der große Unsicherheitsfaktor für Europa. Seine Psyche erinnert an die eines chronischen Spielers, der zu lange auf dem schmalen Grat gewandert ist zwischen dem ganz großen Reibach und dem finanziellen Ruin. Für alle, die mit ihm in der Nato zu tun haben, heißt das: Die Zeiten bleiben unbequem.

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