Schwierige Fälle ohne Lobby

TRIER. Kostenverschiebungen bei der Neuregelung des Betreuungsrechts gefährden die Existenz der Betreuungsvereine - und ihrer Mandanten. Die entsprechenden Trierer Institutionen sitzen bei ihrem Protest mit der Stadt in einem Boot.

Frank Bach (Name geändert) ist ziemlich unter die Räder gekommen. Arbeitslosigkeit, keine familiären Bindungen, Spielsucht, ein schwerer Unfall: Mit 30 ist er am Ende. Sein Vermieter will ihn aus seiner völlig vermüllten Wohnung in einem Trierer Stadtteil rausschmeißen. Er lebt von Essensresten und Katzenfutter, nimmt nicht einmal seinen bestehenden Krankengeldanspruch bei der Berufsgenossenschaft wahr. Nachbarn alarmieren die Polizei.Kein Fall für die Polizei

Aber er ist kein Fall für die Ordnungshüter. Sein Hausarzt attestiert ihm eine psychische Störung, die ihn außerstande setzt, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten zu regeln. Das Sozialamt wird eingeschaltet, es droht die Einweisung in eine Anstalt - mit enormen Folgekosten für Kommune und Krankenkassen. Aber da gibt es auch noch die "Betreuung". Das Amtsgericht kann einen Betreuer oder eine Betreuerin für Frank Bach einsetzen. Bis vor zehn Jahren hätte man ihn deshalb entmündigen müssen. Nun kann das Gericht punktgenau entscheiden, in welchen Bereichen er selbstständig entscheiden kann und wo künftig der Betreuer das letzte Wort hat. Bundesweit sind es in 60 Prozent aller Fälle Familienangehörige, die die Betreuung übernehmen. Aber immer öfter ist auch professionelle Hilfe gefragt, von Berufsbetreuern wie Gisela Denzer. "Die schwierigen Fälle landen meist bei uns", erzählt die Sozialarbeiterin, die beim katholischen Sozialdienst SKM tätig ist, einem von fünf Betreuungs-Anbietern in Trier. Bei Frank Bach überträgt das Gericht Gisela Denzer die Verantwortung für Gesundheitsfürsorge sowie Finanz- und Wohnungsangelegenheiten. Erst einmal muss sie sich durch Müllberge wühlen, um Papiere und Unterlagen "auszugraben". Die Wohnung wird systematisch entmüllt, eine befreundete Familie hilft mit. Zum Erstaunen von Gisela Denzer stellt sich heraus, dass Frank Bach noch Ansprüche aus Erbschaft und Versicherungen hat. Eine Basis für den Neubeginn. Stück für Stück bringt die Betreuerin das Leben ihres Schützlings in Ordnung. Sie schafft es, ihn zu entschulden. Frank Bach kommt in eine bessere Wohnung, müht sich, sie halbwegs in Ordnung zu halten. Sogar einen Traum kann er realisieren: Er macht den Taxischein, beginnt wieder, zu seinem Lebensunterhalt beizutragen. Ganz ohne Betreuung wird er wohl nicht auskommen können. Aber in absehbarer Zeit könnte eine ehrenamtliche Hilfskraft vom SKF diesen "Job" übernehmen. Nicht alle Fälle enden so musterhaft wie der von Frank Bach. "Bei manchen glückt es, bei anderen kann man nur Schadensregulierung betreiben", sagt Denzer-Kollege Günter Krames. Oft sind die Betreuungen auch einfacher zu organisieren. Vor allem ältere Menschen, deren Leben in einem Alten- oder Pflegeheim in geregelten Bahnen verläuft, brauchen häufig "nur" einen Betreuer für Geld-Angelegenheiten. Auch das geht nur über das Amtsgericht. Bislang hat die Arbeitsteilung in der Region Trier gut funktioniert: Dank fester Strukturen konnten die "kleinen" Fälle oft über Ehrenamtliche abgedeckt werden, bei den schwierigeren waren dann die "Profis" gefragt. Im Sachen Frank Bach beispielsweise war Gisela Denzer fast eineinhalb Jahre lang 20 Stunden pro Monat im Einsatz. Ihr Arbeitgeber SKM konnte den entsprechenden Aufwand nach festgelegten Stundensätzen bei der Justizkasse geltend machen. Genau an dieser Stelle setzt die von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgeschlagene Neuregelung an. Die Fälle sollen auf niedrigem Niveau pauschaliert werden. So würden für Frank Bach nach dem neuen Modell künftig nur noch durchschnittlich fünf Stunden pro Monat honoriert. Mit diesem Stundensatz lassen sich nur"leichte" Fälle bewältigen. Würden sich die betreuenden Institutionen "effizient" im Sinne der Neuregelung verhalten, müssten sie ihren hauptamtlichen Mitarbeitern möglichst viele möglichst einfache Betreuungen übertragen. Die schwierigeren Klienten blieben auf der Strecke. "Das kann nicht der Sinn unseres Engagements sein", sagt Jürgen Etzel vom Diakonischen Werk Trier. Dass ein Jahrzehnt nach der Einführung der Betreuungsgesetze Überarbeitungen notwendig sind, sehen auch die Betreuer ein. Aber sie haben das Gefühl, dass dabei nicht die Interessen der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, sondern vermeintliche Sparzwänge. "Die Betreuten selbst haben keine Lobby und können sich nicht wehren", vermutet Monika Petry vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF). Und dass ihre Arbeit unterm Strich nur Kosten verursacht, lässt ihre Kollegin Helga Remmels nicht gelten. Im Gegenteil: "Wenn wir uns nicht darum kümmern, gehen die schwierigen Fälle doch baden." Und deren Zahl wird zunehmen, da ist sich Triers Sozialdezernent Georg Bernarding sicher. Daran ließen "die demografische und die gesellschaftliche Entwicklung keine Zweifel."

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