Schwierige Suche nach der Nummer eins

Berlin. Kaum hat Bundespräsident Johannes Rau seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärt, beginnt das Kandidaten-Karussell zu rotieren.

Würde Guido Westerwelle seine eigenen Worten ernst nehmen, er müsste die Genossin Renate Schmidt oder den Christdemokraten Klaus Töpfer als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorschlagen. Das Parteibuch könne erst an zweiter oder dritter Stelle stehen, ließ der FDP-Chef am Freitag verlauten. Entscheidend sei vielmehr, eine Persönlichkeit zu finden, "hinter der sich die Bürger versammeln können". Auf die mütterliche Schmidt oder den kumpelhaften Töpfer träfe diese Beschreibung wohl zu, aber dazu wird es nicht kommen: Westerwelles Worte sind nur politische Lyrik. In Wirklichkeit geht es bei der Kandidatensuche um knallharte Machtpolitik. Dabei mischt der Chefliberale tüchtig mit. Denn die Chancen stehen gut, gemeinsam mit der Union wieder einen bürgerlichen Präsidenten küren und damit vielleicht das Ende der rot-grünen Herrschaft einleiten zu können. 1206 Mitglieder hat die Bundesversammlung, 604 Stimmen werden benötigt. Union (530) und FDP (80) verfügen zusammen über 610 Stimmen, was normalerweise reichen müsste. Das gilt allerdings nur für einen Kandidaten/eine Kandidatin, der oder die über alle Zweifel erhaben ist. Die CDU-Altstars Erwin Teufel und Bernhard Vogel gehören nicht dazu. Sie gelten zwar als ambitioniert, aber auch als altbacken. Johannes Raus Verzicht auf eine zweite Amtszeit hat einen Automatismus ausgelöst, der dem bereits angelaufene Kandidaten-Karussell so richtig Schwung verleiht. Aus diesem Prozess leiten sich interessante Konstellationen ab, sehr zur Freude der Strategen und Taktiker in den Parteien. Für die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ist daraus allerdings eine Herausforderung erwachsen, die sie unbedingt meistern muss: Gelingt es ihr nicht, einem Unions-Kandidaten die Mehrheit zu verschaffen, obwohl die rechnerischen Voraussetzungen dafür gegeben sind, hat sie ihren Führungsanspruch verspielt. In ähnlicher Form gilt das für FDP-Chef Westerwelle, der sich keine Hoffnungen machen kann, dass ein liberaler Kandidat (Ex-Minister Klaus Kinkel?) von der Union mitgetragen würde. Pikant angereichert wird das Spiel um die Macht durch das subtile Moment des Geschlechts: Der gesellschaftliche Druck, nach über 50 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte endlich mal eine Frau für das höchste Staatsamt zu nominieren, wächst zusehends. Geeignete weibliche Persönlichkeiten, die über ein überzeugendes Profil und politische Erfahrung verfügen, sind allerdings in allen Parteien rar gesät. Petra Roth (CDU-OB in Frankfurt) gilt als zu burschikos, Annette Schavan (CDU-Kultusministerin in Stuttgart) als "zu brav". Merkels Handlungsspielraum ist eingeengt, weil sie selbst die Kanzlerkandidatur anstrebt, aus Gründen der Arithmetik und der gesellschaftlichen Befindlichkeit aber glaubt, dann nicht auch noch eine Frau als Präsidentin präsentieren zu können. Ein Grund, warum Merkel sehnsüchtig nach München blickt und auf die Einsicht (und Eitelkeit) des bayerischen Ministerpräsidenten hofft. Lässt sich Edmund Stoiber, der partout "politisch gestalten" will, weich klopfen, hätte Merkel gewonnen. Stoiber wird dem Vernehmen nach auch von der FDP akzeptiert. Fest steht derzeit nur, dass Rot-Grün diesmal eine Frau ins Rennen schicken will. In Frage käme die frühere Gerichtspräsidentin Jutta Limbach, die allerdings auch schon 70 ist und nicht auf ungeteilte Begeisterung stößt. Wenn die beiden Lager nicht noch eine Überraschungsperson aus dem Zylinder zaubern, die parteiübergreifend auf Zustimmung stößt, wird die Wahl am 23. Mai nächsten Jahres also eine spannende Veranstaltung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort