Schwierige Suche nach der Wahrheit

Wende im Prozess um Vergewaltigung und Nötigung einer 16-Jährigen vor sechs Jahren: Der psychologische Gutachter bezeichnet das Opfer als unglaubwürdig. Es könnte sich die Vorwürfe ausgedacht haben.

Trier. Burkhard Schade redet schnell, ohne Punkt, ohne Komma. Doch der Dortmunder Psychologe redet Klartext, spricht von massiv eingeschränkter Aussagefähigkeit, Erinnerungslücken und der Möglichkeit, dass sich das heute 22 Jahre alte Opfer die angeblichen Taten, das vierwöchige Martyrium, das es laut Anklage vor sechs Jahren durchgemacht hat, ausgedacht haben könnte.

Als 16-Jährige soll sie von den drei Angeklagten, einer Frau (50) und zwei Männern (30 und 44), mehrfach vergewaltigt, geschlagen und bedroht worden sein. Die Angeklagten sollen die junge Frau, nachdem sie aus einer Jugendhilfeeinrichtung geflohen sei und bei der Frau Unterschlupf gefunden habe, vier Wochen lang festgehalten und zur Prostitution gezwungen haben.

Burkhard Schade ist Experte für Glaubhaftigkeits-Gutachten. Gerichte sind überfordert mit der Einschätzung, ob Opfer die Wahrheit sagen oder nicht. Und es ist nicht das erste Mal, dass Schade mit einem Gutachten zur entscheidenden Wende in einem Prozess beiträgt. Etwa im sogenannten Worms-Prozess vor zehn Jahren. 20 Erwachsene waren damals beschuldigt worden, Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren sexuell missbraucht zu haben. Die Angeklagten wurden freigesprochen. Entscheidend für das Urteil des Richters war ein Gutachten von Professor Schade. Der Psychologe hatte demnach nachgewiesen, dass die Aussagen der Kinder durch die vielen Befragungen unbewusst manipuliert worden waren.

Diese Möglichkeit schließt der Experte auch im Fall der 22-Jährigen nicht aus. Die Psychologin, die damals das Mädchen auch in der Jugendhilfeeinrichtung betreute, habe die Aussage, auf der die Anklage beruht, mit dem Opfer "erarbeitet", mutmaßt Schade.

Erlebtes und Ausgedachtes vermischt?



Der Gutachter stellt die 22-Jährige nicht als Lügnerin dar, unterstellt ihr auch keine bewusste Falschaussage. Es gebe Hinweise, dass sie das, was sie den drei auf der Anklagebank Sitzenden vorwirft, in irgendeiner Form tatsächlich erlebt habe. Aber womöglich in einem anderen Zusammenhang. Vielleicht habe sie Erlebtes vermischt mit Ausgedachtem. Jedenfalls könne die Glaubhaftigkeit der jungen Frau nicht gewährleistet werden, sagt Schade. Bestätigt sieht er sich nicht zuletzt durch das kurz zuvor erneut vernommene Opfer - unter Ausschluss der Öffentlichkeit und per Video-Übertragung aus dem Vernehmungszimmer. Nötig geworden ist die neuerliche Aussage der 22-Jährigen, weil sie trotz Ladung zu einer weiteren Vernehmung vor Gericht nicht erschienen ist. Sie habe immer noch Angst, ihren Peinigern unter die Augen zu treten, habe Angst vor Rache, hatte Anwältin Karin Adrian zu Beginn des Prozesses im Mai den Antrag auf Video-Vernehmung begründet.

Während die beiden angeklagten Männer auch am 14. Prozesstag schweigen und nichts zu den Vorwürfen sagen, beteuert die 50-Jährige erstmals vor Gericht ihre Unschuld: "Ich habe nichts getan." Sie falle "tot um", wenn sie etwas mit den ihr vorgeworfenen Taten zu tun habe, sagt die Frau. Die Matratze auf dem Speicher ihres Hauses, auf dem die damals 16-Jährige vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen worden sein soll, sei lediglich für den Hund gewesen, ergänzt die Frau.

Sie habe dem Mädchen damals Unterschlupf gewährt, "als sie aus dem Heim abgehauen ist", sagt die Angeklagte. Sie habe der 16-Jährigen aber nichts angetan.

Unklar ist, wie lange die Angeklagte die 16-Jährige beherbergt hat. Als die Frau, die mehrmals verurteilt ist, vor sechs Jahren bei einem Ladendiebstahl erwischt worden war, bei dem auch das Mädchen dabei war, musste die 16-Jährige zurück in die Jugendhilfeeinrichtung.

Erst fünf Jahre später fasste sie laut Anklage den Mut, gegen ihre mutmaßlichen Peiniger auszusagen und sie so auf die Anklagebank zu bringen.

Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Es wird mit einem Urteil an diesem Tag gerechnet.

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