Seine Wut macht ihn stark

Knut Schieffer kämpft für höhere Entschädigungen von Contergan-Opfern. Der 46-jährige Familienvater ist selbst betroffen. Wie lange er noch arbeiten kann, weiß er nicht. Dann müssen er und seine Familie von der Opfer-Rente leben.

 Seine Familie – Ehefrau Esther, Tochter Laura und Sohn Laurin – gibt Knut Schieffer Kraft. TV-Foto: Friedemann Vetter

Seine Familie – Ehefrau Esther, Tochter Laura und Sohn Laurin – gibt Knut Schieffer Kraft. TV-Foto: Friedemann Vetter

Tawern. "Hallo, guten Tag." Freundlich begrüßt der Mann im schwarzen T-Shirt den Besucher an der Tür seines liebevoll umgebauten Bauernhauses in Fellerich, einem Ortsteil von Tawern (Kreis Trier-Saarburg). Doch wie gibt man jemandem die Hand, der keine richtigen Arme hat? Unwillkürlich zuckt der Besucher bei der Begrüßung erst einmal zurück.

Knut Schieffer geht selbstbewusst mit seiner Behinderung um, streckt von sich aus seinen verkümmerten rechten Arm aus. Der 46-Jährige ist eines von 2850 noch lebenden Contergan-Opfern in Deutschland. Der Familienvater, der mit seiner Frau und den beiden Kindern in dem 200-Einwohner-Dorf lebt, gibt sich kämpferisch, wenn er sich für sich und seine Leidensgenossen einsetzt. Anfang Oktober hat er zusammen mit anderen Contergan-Opfern vor der Deutschen Botschaft in London demonstriert. Sie wollten auf ihre Situation aufmerksam machen und ihrer Forderung nach einer höheren monatlichen Entschädigungszahlung von 1090 auf 3270 Euro Nachdruck verleihen. Er wird wütend, wenn er über die Ignoranz einiger heimischer Politiker spricht, die seine Anfragen abschmettern und sich nicht stark machen für Verhandlungen mit der Herstellerfirma Grünenthal, die vor 50 Jahren das Schlafmittel Contergan auf den Markt brachte, das für die Missbildungen bei mindestens 4000 Säuglingen in Deutschland verantwortlich ist. Der Erzieher, der in einer Trie rer Behinderteneinrichtung als stellvertretender Heimleiter arbeitet, redet sich in Rage, wenn er über die Weigerung von Grünenthal spricht, mit den Contergan-Opfern zu verhandeln. Vom Bundesverband der Contergan-Opfer fühlt er sich nicht ausreichend vertreten, der sei "viel zu brav".

Betroffene erhalten 1090 Euro Rente

 Seine Familie – Ehefrau Esther, Tochter Laura und Sohn Laurin – gibt Knut Schieffer Kraft. TV-Foto: Friedemann Vetter

Seine Familie – Ehefrau Esther, Tochter Laura und Sohn Laurin – gibt Knut Schieffer Kraft. TV-Foto: Friedemann Vetter



Doch Stärke und Selbstbewusstsein schwinden, wenn es um sein persönliches Schicksal geht. Dann kann Knut Schieffer seine Tränen nicht zurückhalten. "Ich kann ja noch nicht einmal meinen Sohn tragen", sagt er weinend und hält seine verkümmerten Arme nach oben. Laurin ist ein Jahr alt. Auch mit der vierjährigen Tochter Laura kann der 46-Jährige nicht so spielen, wie er das gerne möchte. Das Gehen der steilen Treppe in dem alten, von ihm teilweise selbst renovierten Haus, fällt ihm zunehmend schwerer. Wie alle Contergan-Opfer macht Knut Schieffer viel mit den Füßen, sie ersetzen die Hände. Doch das belastet die Gelenke in den Beinen. "Ich weiß nicht, wie lange ich noch arbeiten kann", sagt er und wischt sich die Tränen aus den Augen. "Wie soll ich dann für meine Familie aufkommen?"

Contergan-Opfer erhalten 1090 Euro Opferrente vom Bund. Wer nicht mehr arbeiten kann, muss davon seinen Lebensunterhalt, die Pflege und Altersvorsorge bestreiten. Die Entschädigungszahlung soll, so die Forderung von Schieffer und seinen Mitstreitern, verdreifacht werden. Doch anders als andere Opfer will er dafür nicht in Hungerstreik treten, aus Rücksicht auf seine Familie. Stattdessen sucht Schieffer das Gespräch mit Politikern, wie Anfang der Woche mit der rheinland-pfälzischen Sozialministerin Malu Dreyer. Erst durch den bewegenden ARD-Film "Contergan" habe er Mut bekommen, etwas zu bewegen. Auf seine Mutter, die Ärztin war und nach einem Unfall das damals als unschädlich geltende Schlafmittel Contergan verschrieben bekam, ist er nicht wütend. Allenfalls, dass sie nie mit ihm darüber reden konnte.

Wer Knut Schieffer unterstützen oder Informationen haben will, meldet sich bei: knut.schieffer@web.de

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