"Selbstverstrickung hat pikante Züge"

SAARBRÜCKEN. "Wir werden uns an einem Krieg gegen den Irak nicht beteiligen." Das hat Bundeskanzler Schröder vor der Bundestagswahl versprochen. Nur: Was heißt "Beteiligung"?

Gerhard Schröder hat den USA die Überflug- und Transitrechte über Deutschland eingeräumt und die Nutzung der hiesigen US-Militärbasen für einen Irak-Krieg gestattet - egal, ob es zu einem Alleingang der USA kommt oder ob diese im Einvernehmen mit der Völkergemeinschaft handeln. Außenminister Joschka Fischer wischte kürzlich Bedenken, dass sich Deutschland bei einem US-Alleingang ohne UN-Mandat der nach dem Grundgesetz verbotenen Beteiligung an einem Angriffskrieg schuldig machen könnte, unwirsch vom Tisch: Das sei "eine Debatte von gestern", da bereits die vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 1441 als Mandat für einen Krieg ausgelegt werden könne. Die Bundesregierung befindet sich in einem Dilemma: Einerseits will sie politisch nach eigenem Bekunden alles unternehmen, um einen Krieg zu verhindern. Andererseits hat sie den Amerikanern logistische Unterstützung bei einem Krieg zugesichert, um das Verhältnis zu den USA nicht weiter zu belasten. Rechtlich zulässig wäre diese Zusage aber nur dann, wenn es ein UN-Mandat für den Krieg gäbe. Also erklärt die Bundesregierung, die Resolution 1441 könne bereits als ein solches UN-Mandat ausgelegt werden - und bedient damit auf der juristischen Schiene genau die Position der USA, obwohl sie politisch als Verbündeter der Franzosen auftritt, die in der Resolution 1441 kein Mandat zur Gewaltanwendung sehen. "Diese Selbstverstrickung" der Bundesregierung habe "schon pikante Züge", urteilt Matthias Herdegen, Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Uni Bonn. Seiner Meinung nach kann die Resolution 1441 keinesfalls als Mandat zur Gewaltanwendung ausgelegt werden. Zwar drohe sie dem Irak "ernsthafte Konsequenzen" an, doch verweise sie diesbezüglich auf eine weitere Beratung des Sicherheitsrats. Nach Ansicht des Frankfurter Völkerrechtsprofessors Michael Bothe könnte die Resolution nur dann einen Krieg mandatieren, wenn dem Irak mit der Anwendung "aller erforderlichen Mittel" gedroht würde. Dieser Begriff sei aber in der Entschließung nicht enthalten. Bestätigt wird diese Sichtweise durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter

Exakt derselben Auffassung sind die Völkerrechtsprofessoren Georg Nolte (Göttingen), Norman Paech (Hamburg), Bernhard Graefrath (Berlin), Christian Tomuschat (Berlin) und Jochen Frowein (Heidelberg). Frowein und Tomuschat beraten sogar die Bundesregierung, die sich in dieser Frage bisher jedoch als erstaunlich beratungsresistent erwiesen hat. Wenn aber die Resolution 1441 nach der unter Völkerrechtlern vorherrschenden Meinung kein Mandat für einen Krieg enthält, dann darf Deutschland für einen US-Angriff auf den Irak ohne weitere UN-Resolution auch keine logistische Hilfe leisten, wie Herdegen, Bothe und Frowein unisono sagen. Für Tomuschat ist das keine "Debatte von gestern", wie Fischer meint, sondern "eher eine von morgen". Nur: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Nach Ansicht von Bothe ist es fraglich, ob es überhaupt zu einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kommt. Derzeit sehe es nicht danach aus, dass eine Bundestagsfraktion oder gar eine Landesregierung in dieser Frage die Verfassungshüter anrufe. Zwar könnten einzelne Bürger Strafanzeige gegen die Bundesregierung wegen der Beteiligung an einem Angriffskrieg stellen, so Bothe. Er sei aber "ziemlich sicher", dass Generalbundesanwalt Kay Nehm das nicht mitmache.

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