Seuche des Jahrhunderts

TRIER. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einer tödlichen Epidemie. Doch nicht etwa von Cholera, Aids oder der Lungenkrankheit Sars ist die Rede, sondern von der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus).

1985 litten weltweit 30 Millionen Menschen an Diabetes, heute sind es 177 Millionen. Bis 2025 rechnet die WHO mit einer Verdopplung. Die größten Zuwächse melden die Entwicklungsländer. Hier fasst der westliche Lebensstil Fuß, und damit breitet sich auch seine Folgekrankheit aus. Heute verschlingt die Behandlung von Diabetes und seiner Spätschäden fast ein Viertel der Gesundheitsausgaben der westlichen Industrieländer. Durchschnittlich acht Jahre seines Lebens verliert ein Mensch, der mit 40 an Diabetes mellitus erkrankt. In Deutschland scheint es mehr Diabetiker zu geben als bisher angenommen. Das Diabetes-Forschungsinstitut in Düsseldorf hat eine Hochrechnung veröffentlicht, die auf Stichproben im Raum Augsburg beruht. Danach haben 16 Prozent der Deutschen im Alter zwischen 55 und 74 Jahren zu hohe Blutzuckerspiegel. Doch nur die Hälfte weiß von ihrer Krankheit. Bei weiteren 16 Prozent wurde eine Vorstufe des Diabetes festgestellt, die ohne Behandlung ins Krankheitsstadium umschlägt. Insgesamt hatte in der untersuchten Gruppe damit fast jeder Dritte einen gestörten Zuckerstoffwechsel. "Diese erschreckenden Zahlen verdeutlichen, dass wir die Früherkennung verbessern müssen", betont der Autor der Studie, Dr. Wolfgang Rathmann. Heute dauere es fünf bis acht Jahre, bis die Diagnose Diabetes gestellt werde. Langzeitfolgen, vor allem an Augen oder Nieren, seien dann kaum noch zu vermeiden. Ein erster Schritt zur Früherkennung sei ein Blutzuckertest beim Hausarzt. Als normal gelten Zuckerwerte unter 125 mg/dl Blut. Und so kommt es zu erhöhten Zuckerwerten: Der im Blut gelöste Zucker, die Glukose, dient den Körperzellen als Brennstoff. Dazu muss er jedoch von den Zellen zum Beispiel von Gehirn, Muskeln oder Leber aufgenommen werden. Diese Einschleusung wird durch das aus der Bauchspeicheldrüse stammende Hormon Insulin gefördert. Es wirkt wie ein Schleusenwärter, indem es in den Zellhüllen Kanäle für den Transport des Zuckers öffnet. Produziert der Körper zu wenig Insulin oder reagieren die Körperzellen nicht mehr auf das Signal, bleibt zu viel Zucker im Blut. Er wird dann verdünnt mit dem Urin ausgeschieden, was der Krankheit den Namen gab: Diabetes mellitus bedeutet "Süßer Durchfluss". Ein ständig erhöhter Blutzuckerspiegel kann schwer wiegende Folgen haben. Die Blutgefäße selbst neigen zur Arterienverkalkung, und damit steigt das Risiko für Durchblutungsstörungen, Herzinfarkt, Schlaganfall und Nierenversagen. Gefürchtet sind auch Nervenschäden und Gefühlsstörungen, die wegen der gebremsten Durchblutung zu schlecht heilenden Fußgeschwüren führen können. Jedes Jahr müssen in Deutschland 20 000 Füße wegen Diabetes amputiert werden, 25 000 Patienten müssen wegen Nierenversagens zur Dialyse, und 7000 verlieren wegen der Gefäß- und Nervenschäden ihr Augenlicht. Etwa 90 Prozent der Diabetiker leiden am so genannten Altersdiabetes (Typ-2-Diabetes). Die Neigung ist erblich bedingt, doch über den Ausbruch der Krankheit entscheidet der Lebensstil. Gojka Roglic, Diabetes-Expertin der WHO, nennt das beste Rezept zum Schutz gegen Diabetes: "Abnehmen, sich viel bewegen und gesunde Ernährung."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort