Sie zanken und zanken

Im Koalitionsstreit über die Einführung von Mindestlöhnen bleiben die Fronten weiter verhärtet. Nach Monate langen Beratungen konnte sich eine Arbeitsgruppe von Union und SPD nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen.

Berlin. Bei ihrer letzten Sitzung am Mittwochabend konnten sich die Experten in Punkto Mindestlohn nur auf einen Bericht verständigen, der die unterschiedlichen Standpunkte beider Seiten auflistet. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) gab sich gestern trotzdem unbeirrt: "Mein klares Ziel ist, zu generellen Mindestlöhnen zu kommen", erklärte er vor Journalisten. Seine Vorstellungen laufen auf einen Stundenlohn von etwa 6,50 Euro hinaus. Das lehnt die Union rundweg ab. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla warnte: "Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn vernichtet vor allem einfache Jobs für Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte. Einigkeit nur beim Thema "Schutz vor Billigkonkurrenz"

Jenseits der beiden Maximalpositionen gibt es allerdings auch gewisse Berührungspunkte. So ist die Union grundsätzlich bereit, weitere Branchen in das so genannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, das deutsche Betriebe vor ausländischer Billigkonkurrenz schützen soll. Es gilt bislang für das Bauhauptgewerbe und die Branche der Gebäudereiniger. Das Sicherheitsgewerbe sowie der Zeitarbeitsektor haben bereits Interesse bekundet. Vorraussetzung ist, dass sich die Tarifpartner auf einen Mindestlohn für die unterste Lohngruppe einigen, der dann für allgemeinverbindlich erklärt wird. Die Union verlangt dafür allerdings die Zustimmung des Tarifausschusses der jeweiligen Branche. Die SPD will die Latte tiefer hängen. Nach ihrer Auffassung soll für die Allgemeinverbindlichkeit eine Regierungsverordnung reichen. Die Union drängt zudem auf ein gesetzliches Verbot von sittenwidrigen Löhnen, die nach der allgemeinen Rechtssprechung um mehr als ein Drittel unter dem Tarif- beziehungsweise ortsüblichen Lohn liegen. Müntefering ist das zu wenig, weil die Definition der Sittenwidrigkeit "keinen Einfluss auf die Höhe des Mindestlohns hat". So ließe sich zum Beispiel ein Stundensatz von 3,30 Euro noch um einen Euro senken, ohne sittenwidrig zu sein, warnte der Minister. Als Kompromiss hat Müntefering einen "Auffang-Mindestlohn" ins Gespräch gebracht, der freilich auch wie ein Mindestlohn wirkt. Nach seiner Lesart wäre die unterste Lohnschwelle das Arbeitslosengeld II (345 Euro) plus Wohnkosten (ca. 300 Euro) plus 25 Prozent. Das bedeutet einen Stundelohn von etwa 6,50 Euro. Demnach dürfte es auch keine Tarifverträge mit geringeren Bezügen mehr geben. "Wer arbeitet, soll mehr haben als ohne Arbeit", argumentierte der SPD-Politiker. Die Union wiederum hat sich nicht auf eine konkrete Untergrenze festgelegt. Wie aus dem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe hervor geht, ist aber auch sie der Auffassung, dass bei besonders niedrigen Löhnen eine weitere Absenkung um ein Drittel nicht mehr möglich sein soll. Nach Angaben Münteferings wird sich das Bundeskabinett am 9. Mai weiter mit dem unmstrittenen Thema beschäftigen. Eine Woche später soll auch der Koalitionsausschuss darüber beraten. Ausgang offen. Meinung Balsam für die Genossen Die SPD hat an der Großen Koalition wenig Freude. Die Rente mit 67 musste sie schlucken, eine Gesundheitsreform, die Lichtjahre weit von ihren ursprünglichen Forderungen entfernt ist, und auch bei der anstehenden Unternehmenssteuerreform erhebt sich das Wehklagen vieler Genossen. Kein Wunder, dass Franz Müntefering so hartnäckig für Mindestlöhne streitet. Das Thema ist Balsam für die geschundene SPD-Seele. Auch weil sich die Partei ausnahmsweise einmal mit dem größten Teil der Bevölkerung einig weiß. Dabei haben die Gegner von Mindestlöhnen ein ernst zu nehmendes Argument: Ist ein Mindestlohn zu gering, entfaltet er keinerlei Wirkung, ist er zu hoch, vernichtet er Jobs. Wer so spricht, vergisst leicht, dass es immer mehr Branchen gibt, in denen auch Tariflöhne gezahlt werden, von denen kein Mensch mehr leben kann. Und wo die Tarifpartner zu schwach sind, Existenz sichernde Löhne auszuhandeln, hat die soziale Marktwirtschaft versagt. Die Union wird hier Farbe bekennen müssen. An diesem Punkt könnte sich die Haltbarkeit der Koalition entscheiden. nachrichten.red@volksfreund.de

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