Sozialdemokraten leiden unter der existenziellen Krise

Berlin · Bei den SPD-Abgeordneten ist die Stimmung gedrückt. Schnelle Personalentscheidungen lösen Unmut aus.

Berlin Durch ihr katastrophales Wahlergebnis ist die SPD im Bundestag auf nur noch 153 Abgeordnete geschrumpft - 40 weniger als bisher. Gestern trafen sich die neuen und alten Parlamentarier, um die Niederlage zu verdauen. Heute sollen die Schlüsselposten der Fraktion neu besetzt werden.

Thomas Oppermann trat wohl zum letzten Mal als Fraktionschef vor die Mikrofone. Angesichts des Wahldebakels gab es für ihn keine Chance mehr, den Job zu behalten. Nachfolgerin wird die bisherige Arbeitsministerin Andrea Nahles. Oppermann verkündete dann aber noch eine weitere Personalie, um die es hinter den Kulissen heftigen Streit gegeben hatte. Der bisherige Fraktionsvize Carsten Schneider aus Thüringen übernimmt demnach den Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion. Es ist das zweitwichtigste Amt hinter Nahles. Dem Vernehmen nach wollte SPD-Chef Martin Schulz die Stelle lieber mit dem amtierenden Parteigeneralsekretär Hubertus Heil besetzen. Er scheiterte jedoch am Widerstand der konservativen SPD-Abgeordneten.
Freilich gab es auch viel Unbehagen darüber, dass Schulz schnell personelle Fakten schuf, anstatt die notwendigen Konsequenzen des Wahldesasters in Ruhe zu diskutieren. Die offiziell beschworene Geschlossenheit der SPD hat damit erste Risse bekommen. Nahles und Schneider sollen heute von der Fraktion gewählt werden.

Unter den Abgeordneten war am Nachmittag die Stimmung gedrückt. Zwar wirkte die Marschrichtung der Parteiführung, nicht noch einmal in eine große Koalition zu gehen, wie ein Befreiungsschlag. Doch über die Zukunft der Partei herrschte große Sorge. "Opposition allein kann nichts klären", meinte der SPD-Linke Klaus Barthel. Vielmehr brauche es endlich einen inhaltlichen Klärungsprozess. Andere sprachen von einer "existenziellen Krise" der SPD.

Bleibt die Frage, ob Martin Schulz der richtige Mann ist, um die Partei zu neuen Ufern zu führen. Er selbst hatte angekündigt, beim Parteitag im Dezember wieder für den Chefsessel zu kandidieren. Offiziell wollte gestern niemand daran rütteln. Hinter vorgehaltener Hand sahen manche den Vorsitzenden allerdings nur "im Moment" fest im Sattel sitzen. Jetzt komme es auf die weitere Entwicklung an.

Hinter verschlossenen Türen lag den Abgeordneten dafür zumindest ein Terminplan vor. Zwischen 21. Oktober und 19. November will sich die SPD auf acht Regionalkonferenzen mit den Ursachen des Wahldebakels auseinandersetzen und Schlussfolgerungen ziehen. Davor gibt es noch Klausuren des Vorstands und der Landes- sowie Bezirksvorsitzenden. Der Bundesparteitag ist am zweiten Dezember-Wochenende in Berlin geplant.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort