Später Streit um Hitlers Erbe

BITBURG. In der Eifel lässt der Bund derzeit Teile des Westwalls abreißen. In den vergangenen Jahren sind nach Schätzungen bereits rund 70 Bunkerruinen von der Schneifel bis nach Trier aus der Grenzregion verschwunden. Der Eifelverein protestiert: Die Reste der Verteidigungsanlage sollen als "Friedens-Mahnmal" dienen.

Bunker Nummer 10/40 Anhöhe im Gemündener Forst (Kreis Euskirchen) ist zum Abriss frei gegeben: Der Baggerfahrer einer Spezialfirma hämmert mit einem Hydraulik-Meißel an den 280 Kubikmetern Beton. Einige Tage dauert es, bis der einstige Truppenunterstand für 15 Soldaten mit MG-Schießstand zerkleinert, die Trümmer in Hohlräume verfüllt und die Reste "übererdet" sind. Nur noch ein Hügel zeugt anschließend von dem Westwall-Relikt. "Kein Mensch kann sich später mehr vorstellen, wie das war: In einem Bunker zu sitzen und auf den Feind zu schießen", fürchtet Bernhard Wimmer, Hauptkulturwart des Eifelvereins. Hügelgrab für einen Beton-Koloss

Viel ist von Hitlers 630 Kilometer langer Verteidigungsanlage, die die Westgrenze seines Reiches "uneinnehmbar" machen sollte, ohnehin nicht übrig: Sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Alliierten die meisten Bauten der einst so gefürchteten "Siegfried-Linie" gesprengt. Von dem Bollwerk, das in Zeitungen Anfang der 40-er Jahre als "der größte Betonriegel der Welt" Schlagzeilen machte, blieben mehr oder weniger gut erhaltene Ruinen, oft nur grobe Trümmer. Wie bei Bunker 10/32 im Gemündener Forst. Die rot aufgesprühte Behörden-Nummer kennzeichnet den Abriss-Kandidaten: Die über einen Meter dicke Beton-Decke des Bunkers wird nur noch durch einen Erdhügel gehalten, scharfe Kanten und herausbrechende Monier-Eisen recken sich Spaziergängern entgegen. Ein Wanderweg führt direkt zur nahe gelegenen Jugendherberge. "Wenn da ein Kind reinfällt, verletzt es sich zumindest schwer, wenn nicht tödlich", urteilt Bunker-Experte Gerd Schmitz von der Forschungsgruppe Westwall in Thoum (Kreis Euskirchen). So bald sich leere Getränkedosen, Zigarettenkippen und anderer Müll in einer noch begehbaren Bunkerruine anhäufen, dauere es nicht lange, "bis die auch eine Nummer haben". 10 700 Westwall-Ruinen (davon 4600 in Rheinland-Pfalz) wurden nach Angaben des Bundesfinanzministeriums seit Ende der 50-er Jahre abgerissen; 6500 wurden "übererdet" oder eingezäunt (davon 4000 in Rheinland-Pfalz). Der Abriss eines Bunkers komme immer dann in Frage, wenn "dies die einzige oder billigste Art der notwendigen Gefahrenabwehr" sei, informiert das zuständige Bundesfinanzministerium und beruft sich auf das Allgemeine Kriegsfolgengesetz von 1958, das die Bundesregierung zur Abwehr von Gefahren verpflichtet, die von ehemaligen Luftschutz- und Verteidigungsanlagen ausgehen. 35 Millionen Euro haben die bisherigen "Sicherungsmaßnahmen" an Westwall-Ruinen gekostet. Zwei Millionen Euro habe die Bundesregierung seit dem Jahr 2000 dafür ausgegeben. Für 1999 liegen angeblich keine Zahlen vor. Bei den Abrissen, so das Ministerium, gehe es ausschließlich um die Abwehr von "unmittelbaren Gefahren für Leben oder Gesundheit von Menschen." Ein Argument, das Schmitz von der Forschungsgruppe Westwall bei versteckt im Wald liegenden Ruinen, die nicht Einsturz gefährdet sind, für vorgeschoben hält. Schmitz vermutet, dass die "ganze militärische Architektur nur aus dem Grund beseitigt werden soll, weil sie aus der Nazi-Zeit stammt". Friedens-Mahnmal für künftige Generationen

Allein in den vergangenen vier Jahren seien rund 70 Westwall-Bunker auf der Strecke von Ormont (an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen) bis nach Trier abgerissen oder mit Erde zugeschüttet worden. "In der Schneifel wurden ganze Gebiete Bunker-frei gemacht", sagt Jörg Fuhrmeister, zweiter Vorsitzender des Vereins Interfest, der Befestigungsanlagen wie den Westwall erforscht. "Äußerste Wachsamkeit" ist nach Ansicht des Eifelvereins geboten. Die Kulturwarte des Vereins fordern: "Diese noch heute sichtbaren Spuren des mörderischen Zweiten Weltkriegs müssen unbedingt bestehen bleiben, um auch künftigen Generationen als Friedens-Mahnmal zu dienen." Denn der Westwall weise als "Zeuge aus Eisen und Beton" auf die Bedeutung eines friedlichen Miteinanders hin. Viel Blut wurde am Westwall vergossen: Allein bei den Kämpfen im Hürtgenwald - 15 Kilometer von Gemünd entfernt - starben 12 000 Soldaten der Wehrmacht. Die US-Streitkräfte erlitten verheerende Verluste in dem unübersichtlichen und waldreichen Gebiet: Die Amerikaner hatten 55 000 Tote zu beklagen - fast so viele wie während des gesamten Vietnamkriegs.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort