Spionage aus Peking

Die Auslandsreise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach China wird von Spionage-Vorwürfen überschattet. Die Volksrepublik soll versucht haben, Computer der Bundesregierung auszuspähen.

Berlin. Im Berliner Regierungsviertel war gestern "Tag der offenen Tür", und da nutzten auch die Pressesprecher der Ministerien ihre Chance, dem Volk zu zeigen, was sie so drauf haben. Zum Beispiel, wie man etwas kunstvoll weder bestätigt noch dementiert. Die Sprachrohre der Bundeskanzlerin und des Innenministers wanden sich mit vielen Worten vor öffentlichem Publikum um einen Skandal erster Ordnung herum: dass nämlich chinesische Regierungsstellen monatelang mit Spähprogrammen, so genannten Trojanern, die Computer des Kanzleramts, des Auswärtigen Amtes sowie des Wirtschafts- und Forschungsministeriums angezapft haben sollen. Der "Spiegel" hatte enthüllt, ein entsprechender Spionageangriff sei im Mai bei einer Lagebesprechung der Geheimdienste zur Sprache gekommen und anschließend vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) abgewehrt worden. Als Quelle habe der Verfassungsschutz das chinesische Verteidigungsministerium ausgemacht. Merkels Sprecher Thomas Steg zog sich auf den Hinweis zurück, dass solche Geheimdienst-Besprechungen vertraulich seien, und er daraus deshalb keine Informationen bestätige. Und aus dem Hause von Innenminister Wolfgang Schäuble hieß es nur allgemein, dass es immer wieder mal Versuche von Hackerangriffen auf Regierungs-PC gebe, die man aber jeweils abblocken konnte. Ein Schaden sei nicht entstanden. Der "Spiegel" hatte konkret von Trojaner-Angriffen aus Lanzhou in Nordwest-China, aus Kanton im Süden und aus Peking berichtet. Daten im Umfang von 160 Gigabyte seien nach der Aufdeckung gerade noch vor dem Versand nach Fernost gerettet worden. Der Eiertanz hat diplomatische Gründe: Kanzlerin Angela Merkel befand sich gestern auf dem Flug nach Peking, wo sie ein dreitägiges Besuchsprogramm absolviert, bevor sie nach Japan weiterreist. Heute trifft sie Ministerpräsident Wen Jiabao und Staatspräsident Hu Jintao; am Abend nimmt sie an einer Feier zum 35. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China teil. Kein guter Rahmen für eine Spionage-Affäre. Wenn die Informationen des "Spiegel" zutreffen, muss sich die Kanzlerin persönlich düpiert fühlen. Denn erst im Juni hatte sie beim G8-Gipfel mit Hu Jintao gesprochen. Der Chinese willigte damals darin ein, einen sogenannten "Heiligendamm-Prozess" zu beginnen, bei dem die großen Industriestaaten mit den Schwellenländern einen "positiven Meinungsaustausch" über den Schutz des geistigen Eigentums führen wollen. Während dieser Gespräche lief offenbar schon der Trojaner-Angriff. Das chinesische Außenministerium wies den "Spiegel"-Bericht gestern zurück, allerdings ebenfalls wachsweich. Die Führung verbiete alle "kriminellen Aktivitäten, die die Leistung von Computernetzwerken beeinträchtigen", erklärte ein Sprecher auf der Internetseite des Ministeriums. Man hoffe, die Zusammenarbeit mit Deutschland bei diesem Problem zu stärken. Merkel will den "Schutz des geistigen Eigentums" jetzt in Peking sehr zentral ansprechen. Ohnehin hat sie schwierige Themen im Gepäck, etwa die Verletzung der Pressefreiheit, den Klimaschutz oder den Export von giftigem Spielzeug. Aber die deutsche Industrie klagt immer häufiger über Ideenklau aus China. Baden-Württembergs Verfassungsschutzchef Johannes Schmalzl sagte, 60 Prozent aller Verdachtsfälle von Wirtschaftsspionage in Deutschland hätten inzwischen mit China zu tun. Dass die Wirtschaft das eigentliche Objekt der fernöstlichen Neugier ist und nicht die Politik, räumt vertraulich auch ein Berliner Regierungsmitglied ein: "Was gibt es bei uns schon auszuforschen?"

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort