Sprungtuch Wirtschaft bremst den Fall

BERLIN. Der Abschied vom Amt ist für viele Politiker auch der Beginn eines ganz neuen Lebens. Gerhard Schröder macht es derzeit auf eine besondere Art und Weise vor. Kaum trägt er den Titel "Altkanzler", schon sortiert er rasant seine berufliche Zukunft neu.

Wechsel von Spitzenpolitikern in Unternehmen sind zwar an sich kein neues Phänomen, doch der umstrittene Aufsichtsratsposten Schröders beim deutsch-russischen Trägerkonsortium der Ostsee-Gaspipeline könnte für künftige Ex-Politiker Folgen haben: Über die Parteigrenzen hinweg ist jetzt von einem Verhaltenskodex die Rede, um Interessenkonflikte beim Engagement in der freien Wirtschaft zu verhindern. "Ich bin für alles, was in solche Abläufe mehr Klarheit bringen könnte", kommentierte gestern SPD-Chef Matthias Platzeck Vorschläge, dass Politiker sich freiwillig Karenzzeiten auferlegen, bevor sie bei Unternehmen neue Jobs annehmen. Auch Kanzlerin Angela Merkel zeigte ein "gewisses Verständnis" für solche Überlegungen. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) schloss allerdings gesetzliche Regelungen aus verfassungsrechtlichen Gründen aus, ein Kodex sei allein "Sache des Parlaments". Meist entfesselten Politiker dann Entrüstungsstürme, wenn sie vorher noch Entscheidungen trafen, die ihren künftigen Arbeitgebern womöglich millionenschwere Vorteile verschafften. Zuletzt stand der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) massiv in der Schusslinie. Er war zur Deutschen Bahn gewechselt, soll sich aber zuvor bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD für den Verkehrsträger stark gemacht haben. Viele Großkonzerne beschäftigen Ex-Politiker

Wiesheu ist kein Einzelfall: Viele deutsche Großkonzerne beschäftigen ehemalige Politiker in führenden Positionen oder nutzen sie als Lobbyisten - wirklichen Einfluss erkauft man sich eben nicht durch das Sponsoring von Hinterbänklern. Beliebter ist die Verpflichtung von einflussreichen Ex-Entscheidern: Prototyp wurde Helmut Kohls Kanzleramtsminister Horst Teltschik, den BMW zum Cheflobbyisten machte. Für die Deutsche Bahn arbeitet demgegenüber der ehemalige Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD), für die Deutsche Post ist unter anderem die ehemalige EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies tätig. Lange in der Kritik stand auch Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos), als er im April 2003 Vorstandschef des Kohle- und Chemiekonzerns RAG wurde. Als Minister war Müller an der Verlängerung der Steinkohlesubventionen beteiligt gewesen. Besonders gut in Erinnerung ist der frühere Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann (FDP), der 1999 direkt vom Posten des für Telekommunikation zuständigen EU-Kommissars zum spanischen Konzern Telefonica wechseln wollte. Der Aufschrei war europaweit groß. Dass Politiker durchaus auch noch Karriere machen können, wenn sie in der Politik gescheitert sind, zeigt das Beispiel Lothar Späth. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident musste im Januar 1991 wegen der "Segeltörn"-Affäre zurücktreten. Schon ein halbes Jahr später wurde er Geschäftsführer der Jenoptik GmbH in Jena. Dort blieb er bis 2003. Seit Mai 2005 ist Späth Chef der US-Investmentbank Merrill Lynch in Deutschland. Zahlreiche Politiker fallen jedoch nach der langen Zeit im Rampenlicht in ein schwarzes Loch. Das normale Leben ohne Fahrer und Sekretärin müssen sie erst wieder lernen. Bestes Beispiel ist der ehemalige SPD-Chef Björn Engholm: Statt der großen Politik hat er jetzt sechs Ehrenämter. "Ich bin seit 1987 dran gewöhnt, wichtig zu sein. Und bisher nahm die Wichtigkeit eher zu", beschreibt die ehemalige Familienministerin Renate Schmidt (SPD) ihren Frust - Schmidt konnte zum Glück noch ihr Bundestagsmandat behalten. "Ich trainiere schon Gelassenheit", witzelte Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement vor seinem Abgang. Inzwischen ist ihm der Ruhestand jedoch versüßt worden: Clement wurde Aufsichtsrat des Dienstleistungskonzerns Dussmann mit einem Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Euro. Das Wort auf der Goldwaage

Wer als politischer Hochkaräter keinen Job in der Wirtschaft annimmt, kann sich dafür jedes Wort auf die Goldwaage legen lassen: Mit Memoiren, Büchern oder durch Vorträge: So kassieren die beiden Altkanzler Helmut Kohl und Helmut Schmidt angeblich für ein paar gute Worte noch immer bis zu 70 000 Euro. Schmidt wurde übrigens nach seinem Abgang 1983 Herausgeber der "Zeit" - was niemand ehrenrührig fand.

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