Statt Beweisen nur neue Fragezeichen

WASHINGTON. Von wegen Massenvernichtungswaffen: Die erfolglose Suche danach im Irak bringt US-Präsident George W. Bush immer mehr in Bedrängnis.

Normalerweise rufen die wöchentlichen Radioansprachen des US-Präsidenten nicht viel mehr als ein müdes Gähnen bei den meisten Amerikanern hervor. Schließlich ist ihr Zweck vor allem, dem Volk die Erfolge der Regierung darzustellen. Doch am Samstag ging es vor allem darum, Misserfolge zu rechtfertigen - mit einer ungewöhnlichen Begründung: Saddam Hussein habe mehr als ein Jahrzehnt lang keine Mühen gescheut, seine Massen-Vernichtungswaffen vor der Welt zu verbergen. In den letzten Tagen des Regimes seien dann Dokumente und vermutete Waffen-Lagerstätten geplündert und verbrannt worden, so George W. Bush. Damit hat das Weiße Haus erstmals Plünderungen als Grund für die Unfähigkeit der US-Militärs angegeben, im Irak chemische oder biologische Waffen zu entdecken. In anderslautenden Begründungen war von Regierungsmitgliedern in den vergangenen Monaten auch argumentiert worden, die unkonventionellen Waffen seien wohl vor Kriegsbeginn zerstört worden (Verteidigungsminister Donald Rumsfeld) oder vermutlich in ein Drittland wie Syrien gebracht worden. Bushs jetzige Aussage und der Hinweis auf Plünderungen werden von Beobachtern in Washington als deutliche Reaktion auf die wachsende Kritik am Weißen Haus empfunden, das die Existenz von Massenvernichtungswaffen stets als wichtigsten Grund für die Invasion angeführt hatte. Zunehmend muss sich Bush nun den Vorwurf gefallen lassen, zweifelhafte Geheimdienst-Erkenntnisse bewusst überbewertet zu haben. Die "Washington Post" berichtet beispielsweise, CIA-Experten hätten einen Bericht über eine Verbindung des Irak zur El Kaida mit zahlreichen Fragezeichen versehen, die vom Weißen Haus außer Acht gelassen worden seien. Bush startete am Wochenende nun eine verbale Gegenoffensive. "Die Geheimdienste vieler Länder waren zu dem Schluss gekommen, dass Saddam illegale Waffen besaß, und das Regime verweigerte die Vorlage von Beweisen über deren Zerstörung." Man sei, so Bush weiter, dazu entschlossen, das wahre Ausmaß der irakischen Waffenprogramme offenzulegen. Der Präsident, der sich derzeit mit einer sinkenden Zustimmungsrate in der Bevölkerung im Hinblick auf seine Außenpolitik konfrontiert sieht, ging in seiner Rede erstmals seit dem offiziell verkündeten Kriegs-Ende auch auf die täglichen Meldungen von getöteten und verletzten US-Soldaten im Irak ein. Überbleibsel des gestürzten Regimes, so Bush, würden US-Soldaten töten und einschüchtern wollen. Doch man werde "mit aller Entschlossenheit" dagegen vorgehen. Politische Analysten wie Charles Kupchan von der Georgetown-Universität sehen mittlerweile Bushs Position in der öffentlichen Meinung in den USA weniger von der Suche nach Massen-Vernichtungswaffen als von der Fähigkeit bestimmt, die Opferzahlen gering zu halten und Chaos im Irak zu vermeiden. "Ein öffentlicher Aufschrei wäre, wenn es so weitergeht, nur eine Frage der Zeit", glaubt Kupchan. Seit dem 1. Mai, als Bush das Kriegsende erklärt hatte, starben 55 US-Militärangehörige im Irak. KOMMENTAR SEITE 2

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort