Steinmeier in Erklärungsnot

BERLIN. Die Kanzlerin pflege ein "überaus enges und vertrauensvolles Verhältnis" zu ihrem Außenminister, versicherte Regierungssprecher Thomas Steg gestern in Berlin. Tatsächlich dürfte sich Angela Merkel zunehmend Sorgen um ihren Kabinettskollegen Frank-Walter Steinmeier machen. Gerät der SPD-Mann im Fall Murat Kurnaz doch immer stärker unter Druck.

Im Kern geht es um die Frage, ob der einstige Kanzleramtschef der rot-grünen Vorgängerregierung politisch dafür verantwortlich ist, dass der Bremer Türke Murat Kurnaz trotz frühzeitig ermittelter Unschuld fast fünf Jahre lang unter menschenverachtenden Bedingungen im US-Gefangenenlager Guantanamo zubringen musste. Steg warnte vor öffentlichen Vorverurteilungen. Gegenwärtig gebe es lediglich "sehr viele Annahmen, Unterstellungen und Gerüchte". Und es könnten noch mehr werden. Zwar ist Steinmeier im Grundsatz zu einer raschen Aussage im zuständigen BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages bereit. Doch nach den Planungen des Gremiums wäre ein Auftritt des Ministers frühestens in fünf Wochen möglich. Steinmeier hatte sich bereits im Dezember vor dem Ausschuss verantworten müssen. Damals ging es allerdings um den Fall des Deutsch-Libanesen El Masri, der 2004 nach Afghanistan in ein US-Geheimgefängnis verschleppt worden war. Die Forderung der Opposition, Steinmeier solle sich auch zu Kurnaz äußern, hatte die schwarz-rote Mehrheit seinerzeit mit der Begründung abgelehnt, zunächst den Vorgang El Masri umfänglich behandeln zu wollen. "Wir hatten allerdings schon damals den Verdacht, dass die Fragen im Fall Kurnaz besonders unangenehm werden", meinte FDP-Ausschuss-Obmann Max Stadler gegenüber unserer Zeitung. Nach einem vertraulichen Regierungsbericht vom Frühjahr 2006 war deutschen Stellen bereits im Oktober 2002 eine "Nachfrage der USA" bekannt, in der eine Abschiebung von Kurnaz nach Deutschland oder der Türkei angeboten wurde. Neu aufgetauchte Dokumente deuten darauf hin, dass die Bundesregierung nicht nur kein Interesse an der Überstellung von Kurnaz hatte, sondern seine Rückreise aktiv zu verhindern suchte. FDP-Mann Stadler verwies auf Bemühungen des Bundesinnenministeriums (BMI), das bei der Bremer Ausländerbehörde Druck gemacht haben soll, Kurnaz das Aufenthaltsrecht abzuerkennen. Zur Verhinderung der Rückreise soll sich das BMI bei den zuständigen US-Stellen auch um die Herausgabe des türkischen Passes von Kurnaz bemüht haben. Neu ist nach Einschätzung Stadlers darüber hinaus ein angeblicher Vermerk des Außenamts vom Oktober 2005, "aus dem ersichtlich ist, dass Herr Steinmeier mit all diesen Vorgehensweisen einverstanden war". Rückendeckung bekam der Bedrängte gestern von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil: "Wir haben keinen Zweifel an der Integrität des Bundesaußenministers". Allerdings machte Heil auch deutlich, dass Steinmeier im Fall Kurnaz noch einiges "klären" müsse.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort