Stoiber redet, Merkel zuckt, Simonis bleibt die Spucke weg

BERLIN. Angriff ist die beste Verteidigung. Gemäß dieserDevise ist die Union am Wochenende in die Offensivegegangen.

Mit Hilfe einer deftigen Provokation hat der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber den Bundeskanzler und die rot-grüne Bundesregierung bezichtigt, mitschuldig zu sein am Wiedererstarken der NPD. "Das ökonomische Versagen der Regierung Schröder" bilde den Nährboden für Extremisten, sagte Stoiber der "Welt am Sonntag". Die Härte dieser Aussage ließ selbst CDU-Chefin Angela Merkel zusammenzucken. Im Konrad-Adenauer-Haus hieß es am Sonntag, man sei "nicht so glücklich" über Stoibers Formulierung. SPD und Grüne reagierten empört. Regierungssprecher Bela Anda bescheinigte dem Bayern "unterstes Niveau". In bemühter Zurückhaltung gab der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering in der "Bild am Sonntag" zu bedenken, Stoiber spiele mit seinem Vorwurf den Rechtsextremisten in die Hände: "Streit unter uns über sie - das würde den Nazis so passen." Stoiber mache einen schweren Fehler, wenn er die Neonazis gegen die SPD instrumentalisiere. Entschieden deutlicher äußerte sich Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), die sich am 20. Februar in Schleswig-Holstein zur Wiederwahl stellt: Selten habe sie einen solch perfiden Versuch erlebt, eine Partei auf Kosten einer anderen nach vorn zu bringen. "Da bleibt mir die Spucke weg." Noch drastischer formulierte es der Grünen-Politiker Volker Beck: Stoibers Worte seien "dumm und unanständig". Wer sich zu so etwas hinreißen lasse, versündige sich an der Demokratie. Begonnen hatte das politische Theater ausgerechnet in der Karnevalswoche, als die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit meldete, im Januar seien - erstmals seit 1932 - mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos gewesen. Eigentlich sogar 6,5 Millionen, gab selbst Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zu, denn 1,5 Millionen Personen tauchten lediglich aufgrund von Beschäftigungs- und Fördermaßnahmen nicht in der Statistik auf.Unions-Angriff war ausgemachte Sache

Bereits zu diesem Zeitpunkt warnte CSU-Generalsekretär Markus Söder scheinheilig vor "Weimarer Verhältnissen". Sollte heißen: Auch in der Weimarer Republik trug die hohe Arbeitslosigkeit zum Erstarken der Rechten bei (und letztlich zur Machtergreifung Hitlers). Allerdings wurden diese Thesen ungeachtet der Tatsache transportiert, dass die extrem hohe Arbeitslosenzahl auch der Statistik geschuldet ist: Erst seit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ("Hartz IV") werden ehemals erwerbsfähige Sozialhilfe-Empfänger von der Arbeitslosen-Statistik erfasst. Allein dieser rechnerische Effekt hat die Zahl um rund 300 000 anschwellen lassen. Dem Vernehmen nach war es in der Union ausgemachte Sache, diese unheilvolle Entwicklung zu nutzen, um endlich wieder in die Offensive zu kommen. Dabei sollte die kleine Schwester aus Bayern wie üblich für den groben Bereich, die große CDU hingegen für eher seriöse und fundierte Kritik zuständig sein. Deshalb wählte Merkel zwar auch die gleiche Stoßrichtung, formulierte aber deutlich vorsichtiger: Die Perspektivlosigkeit führe dazu, dass Menschen "Auswege in anderen Bereichen" suchten, sagte sie dem Sender "N24". Für die hohe Arbeitslosigkeit sei "in erster Linie" die Bundesregierung verantwortlich. Unklar ist gegenwärtig noch, ob die Union am 8. Mai zum60. Jahrestag des Kriegsendes am von Bundeskanzler Gerhard Schröder initiierten "Aufstand der Anständigen" teilnimmt. Rot-Grün plant, den beabsichtigten Aufmarsch der Rechten am Brandenburger Tor mit einer Großkundgebung an gleicher Stelle zu kontern. Dazu soll es in den nächsten Tagen Gespräche zwischen den Fraktionen geben. Die Union ist sich noch nicht schlüssig, ob sie an der Aktion teilnehmen soll.

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