"Stoiber sortiert Menschen in erste und zweite Klasse"

BERLIN. Für den Ost-West-Experten Hans-Joachim Maaz sind die Attacken des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gegen die Ostdeutschen nur Ausdruck "eigener Frustration". Auch 15 Jahre nach der Deutschen Einheit seien die Menschen in den neuen Ländern berechtigt unzufrieden, sagt Maaz im TV-Interview.

Herr Maaz, erst Schönbohm, jetzt Stoiber, was läuft da im Wahlkampf ab zwischen Ost und West?Maaz: In der Not bricht etwas durch, was sonst hinter der Maske der Politiker verborgen ist. Ich meine die eigene Frustration, die sich in der Abwertung des Ostens durch beide Politiker widerspiegelt. Stoiber stempelt Menschen auch noch in erste und zweite Klasse ab. Der CDU dürfte er damit im Osten einen Bärendienst erwiesen haben.

Man könnte aber auch gelassen bleiben und sagen, das ist das übliche Gepolter aus Bayern.

Maaz: Na ja. Eigentlich müsste es doch um Inhalte gehen, darum, wie die schwierige ökonomische Situation verbessert werden kann; genau das wird aber nicht wirklich intensiv bewegt. Stattdessen werden die Menschen im Osten beleidigt. Ich empfinde dies als peinlich. Natürlich gibt es viele unzufriedene und enttäuschte Ostdeutsche, aber sie sind doch frustriert in der Folge der Politik. Und ich halte dies für eine berechtigte Frustration.

Diese Unzufriedenheit gibt es ebenso im Westen. Ist der Osten empfindlicher?

Maaz: Nein. Die Menschen sind dort besonderes getroffen von der Entwicklung. Ich erlebe daher berechtigten Unmut, berechtigte Enttäuschung und Angst. Ich wundere mich sogar, dass es sozial noch so ruhig zugeht in den neuen Ländern.

Stimmt also die These, 15 Jahre nach der deutschen Einheit passe noch immer nicht zusammen, was zusammengehört?

Maaz: Das ist richtig. Die Vereinigung hat sich als naive Hoffnung von beiden Seiten herausgestellt. Dass das Wirtschaftswunder Ost nicht funktioniert hat, zeigt aber, dass die Wirtschaftswachstumsidee der westlichen Welt Grenzen hat. Auch Beschimpfungen der Menschen wird das nicht ändern.

Brandenburgs Innenminister Schönbohm glaubt, die Diktatur habe die Ostdeutschen gewaltbereiter gemacht.

Maaz: Falsch. Es ist doch eher die westliche Konkurrenzwelt, die eine Kultur des Sich-Durchsetzens gegen andere propagiert. Natürlich haben die autoritär-repressiven Verhältnisse der DDR Spuren bei den Ostdeutschen hinterlassen. Ich nenne sie einen Gefühlsstau. Die Hoffnung war groß, ihn durch materielle und freiheitliche Verbesserungen abtragen zu können. Das hat vielfach nicht funktioniert, weil den Menschen keine Arbeit, keine Bedeutung und keine Teilhabe gegeben wurden. Aber das führt nicht zwingend zu einer höheren Gewaltbereitschaft.

Ist das Erstarken der Linkspartei im Osten auch ein Ausdruck dieses Gefühlsstaus?

Maaz: Ja, dort fließt die Hoffnung hin, dass die besonderen Belange der Menschen im Osten wenigstens verstanden werden. Das schließt eine kritische Prüfung nicht unbedingt ein.

Warum fließt diese Hoffnung nicht zu Angela Merkel? Sie ist schließlich Ostdeutsche.

Maaz: Weil sie genau das verleugnet. Sie gibt sich große Mühe, keine besonderen Ambitionen für ostdeutsches Leben zu haben und es zu vertreten. Das wird in den neuen Ländern halt wie Verrat erlebt.

Mit Hans-Joachim Maaz sprach TV-Korrespondent Hagen Strauß.

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