Stoiber stichelt gegen Schmidt

BERLIN. Lange Monate der Irrungen und Wirrungen gipfelten in einem Gesetz, das gestern im Bundesrat verabschiedet wurde. Doch auch jetzt sorgt die Gesundheitsreform noch für Kontroversen.

Als sich der Bundesrat gestern anschickte, ein letztes Mal über die Gesundheitsreform zu debattieren, verließ Angela Merkel den Sitzungssaal. Wer Böses dabei denkt, dem sei gesagt, dass die Kanzlerin nur deshalb in die Länderkammer gekommen war, um ihre Ziele bei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu erläutern. Auch stand das Votum über die ungeliebte Reform von vorn herein fest. Bereits in den vergangenen Tagen hatten elf der 16 Bundesländer ihre Zustimmung signalisiert. Trotzdem haftete Merkels Abmarsch etwas Symbolisches an: Alle Beteiligten sind froh, dass die ganze Aufregung endlich vorbei ist. Der Weg war "mühsam, lang und steinig", befand Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), und "jeder musste Abstriche machen". Dabei war es gerade Stoiber, der auf stur schaltete und das rund 500 Seiten starke Gesetzeswerk damit zeitweilig an den Rand des Scheiterns gebracht hatte. Im Bundestag hätte es dafür sicher höhnische Zwischenrufe der Opposition gegeben. In der Länderkammer gibt man sich deutlich zurückhaltender. Da klang es schon fast rabiat, als Stoiber der anwesenden Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vorhielt, sie habe mit ihren ursprünglichen Plänen "weit in Richtung Staatsmedizin gehen" wollen. Acht Monate politischer Irrungen und Wirrungen

Überhaupt, so Stoiber, könne er verstehen, wenn die Menschen der Reform "skeptisch gegenüber stehen". Die Geschichte des Kompromisses habe "nicht dazu beigetragen, das Vertrauen zu stärken". Wohl wahr. Zwischen den anfänglichen Eckpunkten der Reform und dem, was am Ende im Gesetzblatt stehen wird, liegen beinahe acht Monate voller politischer Irrungen und Wirrungen, wie sie die Republik selten erlebt hat. Mehr Wettbewerb sollte die Reform bringen, mehr Transparenz und eine nachhaltige Finanzierung. Davon ist kaum etwas in Erfüllung gegangen. Zunächst kippten unions-regierte Länder die Verabredung für eine deutlich stärkere Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems. Dann kam doch ein Fahrplan dafür zu Stande. Und alle politisch Beteiligten waren des Lobes voll. Das Verrückte daran: In ferner Zukunft soll der Steueranteil zwar deutlich höher liegen. Doch erst einmal wurde er gesenkt: 2006 erhielten die gesetzlichen Krankenkassen noch einen Bundeszuschuss von 4,2 Milliarden Euro. In diesem und im nächsten Jahr sind es jeweils nur 2,5 Milliarden Euro. Später kreiste der Konflikt um die künftige Rolle der Privatkassen. Auf einmal war der Basistarif in aller Munde, obgleich nur die wenigsten etwas davon verstanden. Zum Jahreswechsel bekriegten sich Bund, Bayern und Baden-Württemberg dann mit Expertengutachten, um die finanziellen Mehrbelastungen der heimischen Krankenkassen durch den geplanten Gesundheitsfonds zu klären. Plötzlich geisterten Milliardensummen durch die Gazetten. Dabei war im Gesetzentwurf von Anfang an eine Obergrenze von maximal 100 Millionen Euro pro Bundesland vorgesehen. Änderungsanträge zur Änderung der Änderung

Vollends skurril wurde es, als Baden-Württemberg eine Zustimmung zur Reform von Bundesmitteln für den Ausbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes abhängig machte. Und als wäre das noch nicht genug, gab es immer wieder Änderungsanträge zur Änderung von Änderungsanträgen. Auch nach Verabschiedung der Reform sind längst nicht alle Ungereimtheiten vom Tisch. Im Bundesrat erinnerte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck gestern daran, dass der Steueranteil zwar schrittweise auf 14 Milliarden Euro steigen soll, aber die Gegenfinanzierung in den Sternen steht. Trotzdem nannte der SPD-Chef die Reform ein "durchaus gelungenes Werk". Dass dem nicht so ist, zeigt eine schriftliche Entschließung der Länderkammer, in der an 14 Stellen (!) des Gesetzes mehr oder minder starke Bedenken angemeldet werden. Sie reichen von den Kostenbelastungen der Krankenhäuser über Probleme bei Kassenentschuldungen bis zum unzureichend geklärten Vergütungssystem der Ärzte. Ulla Schmidt wollte davon freilich nichts wissen. Zwischenzeitlich sah es schon so aus, als müsste die Gesundheitsministerin das Handtuch werfen. Doch am Ende hat sich die Rheinländerin wieder einmal im Haifischbecken der Lobby-Interessen behauptet. "Das ist ein gutes Gesetz", lobte Schmidt. "Wir sollten nicht auf die negativen Dinge hören".

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