Streit um EU-Verfassung: Polen pokert bis zuletzt

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach gestern vom "Endspiel", Regierungssprecher Ulrich Wilhelm beschrieb die Lage so: "Das Problem ist ernst." Die entscheidende Woche für die Lösung der seit über zwei Jahren anhaltenden Verfassungskrise in der EU begann mit dramatischen Worten.

Berlin. Nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm vor einigen Tagen als "Miss World" gefeiert, droht Kanzlerin Angela Merkel nun ein herber Schlag ins außenpolitische Kontor. Am Tag nach der Verhandlungspleite mit Polen, das auf Änderungen am vorgeschlagenen Verfahren bei der künftigen Stimmengewichtung der EU-Staaten beharrt, liefen die diplomatischen Drähte europaweit heiß: "Es wird am Ende dieser Woche nur gemeinsame Verlierer oder gemeinsame Sieger geben", beschwor Außenminister Steinmeier die Europäer. Die 27 Staats- und Regierungschefs werden am Donnerstag und Freitag in Brüssel entscheiden, ob sie den europäischen Verfassungsprozess bis 2009 abschließen können oder nicht. Merkel kommt dabei die Aufgabe zu, als amtierende Ratspräsidentin einen Kompromiss zu zimmern - was inzwischen noch schwieriger zu realisieren sein dürfte als die Herstellung des Klimakompromisses beim G8-Treffen in Heiligendamm. Anti-deutsche Ressentiments

Die unbewegliche Haltung des Nachbarlandes hat nach Ansicht des Vorsitzenden der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe, Markus Meckel (SPD), auch etwas mit anti-deutschen Ressentiments zu tun: "Das spielt schon ein Rolle", so Meckel zu unserer Zeitung. Andere Insider ergänzen, Warschau fürchte, dass Deutschland im Verbund mit anderen Nettozahlern Polen in künftigen Finanzverhandlungen den Geldhahn abdrehen könnte. Deshalb wolle man unbedingt, dass das Gewicht der einzelnen EU-Staaten im Europäischen Rat mit der Quadratwurzel aus der jeweiligen Bevölkerungszahl berechnet wird. Polen, das halb so viele Einwohner wie Deutschland hat, bekäme dann sechs Stimmen, Deutschland nur neun. Die Kanzlerin pocht aber darauf, das Stimmengewicht deutlich stärker an der Bevölkerungszahl zu orientieren. "Polen wird bis zuletzt pokern. Wenn das Projekt am Ende scheitert, wäre es nicht nur für Europa, sondern auch für Polen eine Katastrophe", warnt Meckel das Nachbarland. In Berlin geht man bereits davon aus, dass angesichts der verfahrenen Situation aus dem zweitägigen Gipfel ein dreitägiger wird - das "Endspiel" also bis einschließlich Samstag in die Verlängerung geht. Merkels Taktik: Wie an der Ostsee stapelt sie bereits tief und schließt ein Scheitern des EU-Gipfels nicht mehr aus, um am Ende vielleicht doch noch durch eine Minimallösung die strahlende Siegerin geben zu können. Doch diesmal ist die Ausgangslage weitaus heikler: Bislang weiß anscheinend niemand, wie ein Kompromiss aussehen könnte angesichts der harschen Töne aus Polen. Am Ende ihrer Ratspräsidentschaft droht Merkel also, tatsächlich mit leeren Händen dazustehen.

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