Streit um eine Spritze

TRIER. Sie ist nicht unumstritten. Und das, obwohl sie nach Expertenmeinung zahlreiche Leben von Herzinfarkt- und Embolie-Patienten retten könnte: Die Lyse-Spritze gehört in nur knapp der Hälfte aller Notarztfahrzeuge gehört zum Standard.

Detlef Haase ist sicher: "Ohne die schnelle und fachmännische Hilfe durch den Notarzt hätte das ganz anders ausgehen können." Der 53-Jährige aus Traben-Trarbach hatte im vergangenen Oktober einen akuten Vorderwand-Infarkt. Das Schlimme dabei: Als er einen starken Druck im Brustkorb spürte, rief er den hausärztlichen Notdienst an. Der diagnostizierte Blähungen. Erst am Morgen ging Haase zu seinem Hausarzt, der sofort ein EKG machte, das dann die schlimmste Befürchtung bestätigte: Herzinfarkt.Rettung im Hubschrauber

"Der Arzt rief sofort den Rettungshubschrauber. Bevor ich richtig realisierte, was los war, lag ich auch schon da drin. Und direkt nach Beginn der Behandlung durch den Notarzt spürte ich auf einmal, dass der Druck weg ist und ich wieder frei atmen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass ich direkt wieder aufstehen könnte", erinnert er sich heute an den Schicksalstag im Oktober. Er hat überlebt, weil der Notarzt ihm die Lyse-Spritze gab. Heute kann er wieder ein ganz normales Leben führen. Das Leben von 60 bis 80 Herzinfarkt-Patienten von 1000 könnte gerettet werden, wenn eine Stunde nach Auftreten der ersten Symptome das Thrombose lösende Mittel Lyse gespritzt würde. Das ergab eine Studie der Uni Düsseldorf. Lyse dient dazu, Blutgerinsel, die lebenswichtige Blutgefäße verstopfen, aufzulösen, um wieder eine Durchblutung zu ermöglichen. Experten schätzen, dass rund 15 000 Patienten jährlich eine Lyse-Behandlung vor Einlieferung in ein Krankenhaus, also bereits im Notarztwagen, brauchen. Doch schätzungsweise gerade einmal 50 Prozent aller Notarzteinsatzfahrzeuge in Deutschland hat die bei Herzinfarkt und Lungenembolien häufig lebensrettende Spritze nicht an Bord.Probleme mit der Abrechnung

Während aus Hessen eine flächendeckende Versorgung der Einsatzfahrzeuge gemeldet wird, heißt es etwa beim DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz: "Bei uns gibt es nicht in allen Notarztwagen eine Lyse-Spritze." Die Träger der Rettungsdienste könnten die Kosten für das Präparat nicht über ihr Entgeltsystem abrechnen, während die Krankenhäuser, wo Lyse zur Behandlung eingesetzt wird, dies mit den Krankenkassen verrechnen könnten, erklärt Elisabeth Geurts vom DRK-Landesverband. Zur Notwendigkeit des teuren und gerade Mal 30 Monate haltbaren Medikaments gehen die Meinungen auseinander. Gert A. Hommelsen, Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes Eifel-Mosel-Hunsrück, sagt: "Je schneller den Patienten geholfen werden kann, desto besser." Und gerade in dem Gebiet, für das er zuständig sei, könne schon einige Zeit vergehen, bis die Patienten in einem Krankenhaus seien. Manchmal betrage die Einsatzstrecke von der Rettungsstelle zum Patienten bis ins Krankenhaus mehr als 90 Kilometer. Und bei Herzinfarkt oder Lungenembolie zählt jede Sekunde. Daher hat sich Hommelsen entschieden, in den in Wittlich, Daun, Gerolstein, Bernkastel-Kues und Morbach stationierten Notarztwagen genauso wie in dem vom ADAC betriebenen Rettungshubschrauber Christoph 16 in Wittlich Lyse zu deponieren. Der Rettungsdienst-Chef hat eine Vereinbarung mit dem Krankenhaus Wittlich getroffen, in das auch ein Großteil der Patienten mit sehr schweren Herzinfarkten eingeliefert werden. Das Krankenhaus stellt den Notärzten das Medikament zur Verfügung. Wird es bei einem Patienten gebraucht, dann schlägt das Krankenhaus dies auf die Behandlungskosten drauf und rechnet mit den Krankenkassen ab. Im Kreis Bitburg-Prüm hofft man, dass man bald möglichst auch zu dieser Lösung kommt. Denn bislang ist keiner der beiden Rund um die Uhr zur Verfügung stehenden Notarztwagen in Prüm und Bitburg und auch nicht die nur zeitweise eingesetzten Fahrzeuge in Neuerburg und Speicher mit Lyse ausgestattet. "Wir verhandeln mit den Krankenhäusern in Bitburg und Prüm, damit sie uns das Medikament zur Verfügung stellen", sagt Manfred Böttel, Leiter des DRK-Rettungsdienstes in Bitburg-Prüm. Doch selbst wenn die Lyse-Spritze an Bord ist, bedeutet das nicht, dass sie auch alle Notärzte wirklich benutzen werden. Denn ganz unumstritten ist sie nicht. Hat der Patient nämlich innere Blutungen, könnte der Einsatz des die Blutgerinnung verhindernden Mittels sogar lebensgefährlich sein. Viele Notärzte schrecken daher zurück vor der Spritze. "Ob Lyse verwendet wird, hängt auch von der Qualifikation des Notarztes ab", erklärt Roland Lipp, Leiter der DRK-Lehranstalt für Rettungsdienst. Außerdem komme es auch auf die Ausstattung des Einsatzfahrzeuges an. Verfüge das über ein so genanntes Zwölf-Kanal-EKG, sei in den meisten Fällen eine optimale Überwachung des Patienten bis zum Krankenhaus gewährleistet. Außerdem hänge der Einsatz des Medikamentes auch von der Fahrzeit bis zum nächsten Krankenhaus ab. Je kürzer die Fahrt, desto weniger dringend sei der Einsatz von Lyse, so Lipp. Das ist auch das Argument, warum es in den Notarztwagen in Trier und im Kreis Trier-Saarburg nicht vorhanden ist. Die Wege bis zu den Kliniken seien relativ kurz. Und dort erhielten die Patienten bei Bedarf dann das Blutgerinsel lösende Mittel, heißt es übereinstimmend aus Trier und dem Kreis. "Auch ohne Lyse in den Einsatzfahrzeugen besteht keine größere Gefahr für die Patienten", versichert der Chef der Trierer Berufsfeuerwehr, Herbert Albers-Hein. Da alle Krankenhäuser in der Region über entsprechende Intensivstationen und auch geschultes Fachpersonal verfügten, sei gewährleistet, dass die Patienten in den Kliniken optimal versorgt würden, sagt auch Carl Schmitz, Anästhesist im Trier-Ehranger Marien-Krankenhaus.Krankenhaus-Ärzte geben Entwarnung

Zudem gebe es im Trierer Brüder-Krankenhaus, das ja aus der gesamten Region gut zu erreichen sei, ein Katheterlabor für Herzinfarkt sowie eine so genannte Stroke-Unit für Schlaganfall-Patienten. Auch er gibt Entwarnung: "Es besteht keine außergewöhnliche Gefährdung für Herzinfarktpatienten in der Region." Nicht nur die kardiologische Gesellschaft und einige Notärzte fordern trotz der Beruhigungen einiger Ärzte und Rettungsdienste die flächendeckende Lyse-Ausstattung, sondern auch - wen wundert's - Hersteller von Lyse-Präparaten. Etwa Boehringer Ingelheim. Sie lassen auf einer speziell eingerichteten Internet-Seite und in Pressemitteilungen Kardiologen und Internisten zu Wort kommen, die sich für Lyse in Notarztfahrzeugen stark machen, um dann nebenbei auf ihr Präparat hinzuweisen.

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