Subventionen in Europa, Hunger in der Welt

BERLIN. Einkommensverluste und fehlende Perspektiven, Vernichtung von Arbeitsplätzen, zu viel Bürokratie - vor allem Landwirte prangern die EU-Agrar-Reform an. Doch auch aus einer anderen Richtung kommt Kritik. Verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen klagen: Die Reform zementiert den Hunger in der Welt.

Milchseen, Fleisch- und Getreideberge - Überproduktion prägt die europäische Landwirtschaft. Damit die überschüssigen Lebensmittel wenigstens ein Minimum an Erlösen abwerfen, wird ein Teil, oft per Exportsubvention gefördert, zu Dumpingpreisen in andere Länder verhökert. Die Folgen sind für einige Regionen der Welt katastrophal. "Der Export von Milch nach Jamaika hat dort den Preis so sehr gedrückt, dass der ländliche Raum verarmt ist", berichtet Paul Buntzel vom Agrarnetz der globalisierungskritischen Organisation Attac. "Kleinbauern mussten aufgeben, zogen in die Städte, und dort entstanden Elendsviertel." Die Liste ähnlicher Fälle, von denen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wie Attac, Greenpeace oder Germanwatch immer wieder berichten, ist lang. Entsprechend groß war die Erleichterung bei diesen NGOs, als die ersten Brüsseler Entwürfe der Ende Juni beschlossenen EU-Agrarreform auf den Tisch kamen. Eine vollständige Entkopplung von Produktion und Zuschüssen sollte den Anreiz abschaffen, überschüssige Lebensmittel herzustellen. Per Modulation wollte man Subventionen von Großbetrieben in strukturschwache Landwirtschafts-Regionen umleiten. Und Ziel der so genannten Überkreuzverpflichtung war, die volle Auszahlung von Prämien abhängig zu machen von der Erfüllung verschiedener Tier- und Umweltschutzauflagen. "Das wäre ein ideologisches Umdenken gewesen", sagt Buntzel. Doch man hatte die Rechnung ohne die mächtige Agrarlobby gemacht. Der jetzt verabschiedete Kompromiss, klagt Buntzel, habe mit den ursprünglichen Vorstellungen inhaltlich nicht mehr viel gemeinsam. "Der Betrag wird stupide weitergezahlt. Damit hat man ein Lenkungsinstrument aus der Hand gegeben." Die Reform, sagt der Attac-Agrarexperte aus Berlin, verfestige das bestehende System. "Faktisch wird sich die aggressive EU-Exportpolitik kaum ändern." Folge: Die europäischen Agrarsubventionen bleiben - zusammen mit denen der USA - die wichtigste Ursache für den Hunger in der Welt. Diese Auffassung vertreten längst nicht mehr nur links gerichtete Gruppen. Die konservative Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat vorgerechnet, dass das System der Überproduktion und der Verschleuderung von Waren auf dem Weltmarkt die EU und Europas Verbraucher im vergangenen Jahr 106 Milliarden Euro kostete. 70 bis 90 Prozent davon seien handelsverzerrend und zerstörten unmittelbar Existenzen in der Dritten Welt. Interessantes Detail am Rande: Jene 70 bis 90 Prozent liegen um mehr als das 20-fache über den 3,7 Milliarden, die Deutschland für Entwicklungshilfe ausgibt. Entgegenkommen der EU nur Mittel zum Zweck?

Auch ein Teil der Landwirte sieht die problematischen Zusammenhänge zwischen EU-Agrarpolitik und Hunger. Die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft etwa ist Buntzel zufolge Mitglied bei Attac. Weniger auf einer Linie liegen die Globalisierungskritiker dagegen mit dem Bauernverband, den Buntzel als "komplett schizophrene Institution" bezeichnet: Er trete zwar als Lobbyist der kleinen Betriebe auf, mache aber Politik für Großbauern mit Exportinteressen. Buntzel & Co. befürchten, dass die Verfestigung der für Entwicklungsländer folgenschweren EU-Agrarpolitik noch nicht alles ist. Die Europäer, mutmaßt Buntzel, nutzten das minimale Entgegenkommen durch eine teilweise Entkopplung, um die ärmeren Staaten unter Druck zu setzen - etwa, um das gewünschte Investitions-Schutzabkommen durchzudrücken. Damit fielen für den Technologie-Transfer wichtige Bestimmungen weg - zum Beispiel die, dass ein Investor einen bestimmten Prozentsatz von Einheimischen beschäftigen muss, sagt Buntzel. "Das wäre verheerend für die Entwicklungsländer."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort