"Suchtmedizin ist manchmal schwer, aber auch sinnerfüllend"

Trier · Der einzige substituierende Mediziner Triers und die Leiterin der Wittlicher Suchtberatung sprechen von schlechter Versorgung mit existenziellen Folgen für Suchtkranke.

 Wenn Dr. Christoph Goldbecker eines Tages einmal in Rente geht, stehen Trier er Substitutionspatienten womöglich alleine da.

Wenn Dr. Christoph Goldbecker eines Tages einmal in Rente geht, stehen Trier er Substitutionspatienten womöglich alleine da.

Foto: (e_bit )

Trier Seit Mai gibt es ein neues Gesetz, das Substitutionspatienten das Leben leichter machen soll (siehe Info). Dennoch sprechen Experten von Engpässen bei der Versorgung der Drogenabhängigen in der Region. Herr Goldbecker, warum unterstützen Sie Substitution und andere Ärzte nicht ?Christoph Goldbecker: Heroinabhängige sind oft Menschen in teils verzweifelten Situationen am Rande der Gesellschaft. Die Betreuung oft langjährig Suchtkranker in einer normalen Hausarztpraxis ist also nicht immer einfach. Außerdem ist Substitution kein lohnendes Geschäft. Der Umgang mit großen Zahlen von speziellen Betäubungsmittelrezepten und regelmäßige Kontrollen durch Stellen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Bundesopiumstelle tragen auch nicht zur Attraktivität der Suchtmedizin bei.Ist die Nachfrage nach Substitution in der Großregion ihrer Meinung nach gedeckt?Helga Thiel: Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ist katastrophal. Seit fast zwei Jahren gibt es im Kreis Bernkastel-Wittlich etwa keinen substituierenden Arzt. Nun müssen diejenigen, die substituiert werden wollen, nach Trier, Gerolstein oder Koblenz fahren.Goldbecker: Die Versorgung ist schlecht. So substituiere ich nicht nur Patienten aus der Region Trier, Wittlich, teils aus Bitburg oder aus dem Saarland, sondern auch darüber hinaus. Außerdem: Von den üblicherweise gestatteten 50 Patienten habe ich die Genehmigung auf 65 Substitutions-Patienten erhalten. Das ist ein Zeichen für die Unterversorgung in diesem Bereich.Was kann man tun, um diesem Missverhältnis entgegenzuwirken?Thiel: Ich hatte vor zwei Jahren mehrere Kontakte mit dem Gesundheitsamt oder der Kassenärztlichen Vereinigung. Die KV hatte dann alle Hausärzte aus der Region eingeladen zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Substituierung. Vier davon kamen, und keiner war im Endeffekt bereit, die Substitution im Nachhinein anzubieten. Es liegt einfach daran, dass es nahezu unmöglich ist, Ärzte zu motivieren, in die Substitution einzusteigen. Hausärzte wollen dieses Klientel oft nicht im Wartezimmer sitzen haben. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Substitutionsärzte alle überaltert sind. Ein Großteil wird in den nächsten Jahren in Rente gehen. Im ländlichen Bereich besonders, da dort die großen Entfernungen dazukommen. In Bayern haben sie das so gelöst, dass sie mit einem Substitutionsbus über Land fahren. Es gibt Lösungen und Ideen, wenn man kreativ ist.Warum sind solche Maßnahmen wie Substitution so wichtig, wenn es doch andere Möglichkeiten wie Entzugskliniken gibt?Goldbecker: Substitution nimmt Patienten den Suchtdruck, sie reduziert die Beschaffungskriminalität und ermöglicht eine Re-Integration in die Gesellschaft. Oft folgt dann auch eine Integration ins Erwerbsleben. Thiel: Substituierende sind oft Klienten, die es auf anderem Weg nicht geschafft haben, clean zu werden. Eine andere Gruppe hat bereits den Ausstieg geschafft, ist aber rückfällig geworden. Weil sie nicht negativ auffallen wollen, wählen sie die Substitution, um sich zu stabilisieren. Wenn sie Wochen in Entgiftung gingen und dann in die Reha, müssten sie sich zwangsläufig beim Arbeitgeber erklären, und es ist unauffälliger in die Substitution zu gehen.Welche Erfahrungen haben Sie mit den Patienten gemacht?Goldbecker: Sicherlich wird man von den häufig langjährig Drogenabhängigen gerade zu Beginn der Therapie angelogen. Beikonsum von Drogen ist ein Thema. Mit Urinproben möchten wir das verhindern. Hier besteht bei der Urinabgabe auch ein Täuschungspotenzial, das versucht wird, möglichst zu minimieren. Zum Positiven: Den Patienten geht es sichtbar besser, da ihnen der Suchtdruck fehlt. Dadurch wird die Integration in den Alltag möglich. Aktuell habe ich eine Schwangere und zwei junge Mütter, die wegen ihrer Suchtproblematik mit ihrem Säugling in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Trier untergebracht sind. Hier kann ich direkt mit der Substitution dazu beitragen, dass ein normales Familienleben entstehen kann und die Kinder später die gleichen Chancen im Leben haben werden wie die Kinder von nicht suchterkrankten Eltern. Suchtmedizin ist manchmal schwer, aber auch sinnerfüllend.Wo gibt es noch Defizite?Thiel: Es fehlt an Arbeitsprojekten. Arbeitslose haben keine Aufgabe, und Langeweile ist das größte Rückfallrisiko. Im ländlichen Bereich gibt es das Fahrproblem. Oft sind das Leute ohne Führerschein. Wer täglich in eine Ambulanz fahren muss, kann nicht gleichzeitig arbeiten. meyInterview mit Helga Thiel von der Caritas und dem Hausarzt Dr. Christoph GoldbeckerExtra: HOFFNUNG DURCH NEUES GESETZ

 Helga Thiel von der Caritas Mosel-Eifel-Hunsrück hofft auf mehr medizinische Angebote für Suchtpatienten. Fotos (2): privat

Helga Thiel von der Caritas Mosel-Eifel-Hunsrück hofft auf mehr medizinische Angebote für Suchtpatienten. Fotos (2): privat

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Das Bundeskabinett hat am 15. März 2017 die 3. Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) beschlossen, der Bundesrat verabschiedete die Gesetzesänderung am 12. Mai. Die Änderungen zielen darauf ab, mehr Ärzte für die Beteiligung an der Substitutionsbehandlung zu gewinnen. Die bisherige Ausnahme einer Verschreibung des Mittels an gefestigte Patienten zur eigenverantwortlichen Einnahme wird fortentwickelt. In begründeten Einzelfällen dürfen Substitutionsärzte ein Substitut künftig für den Bedarf von bis zu 30 Tagen (statt bis zu sieben Tagen) auch bei Inlandsaufenthalten verschreiben. Um die wohnortnahe Versorgung der Betroffenen zu verbessern, wird zudem der Katalog der Einrichtungen, die Substitutionsmittel an Betroffene ausgeben dürfen, ausgeweitet. Hierzu zählen künftig etwa Rehabilitationseinrichtungen, Gesundheitsämter, Alten- und Pflegeheime sowie Hospize.

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