Szenen wie im Fernsehen

Seit eineinhalb Jahren sorgt der Prozess gegen den Rechtsanwalt Paul Greinert für reichlich Gesprächsstoff in der Trierer Justiz-Szene. Nun steht das Dauer-Verfahren vor dem Abschluss - heute halten Verteidigung und Anklage ihre Plädoyers.

Trier. Insgesamt 15 Verhandlungstage, eine einjährige Unterbrechung, jede Menge juristische Scharmützel, Beugehaft-Androhungen, Einsprüche bis hoch zum Oberlandesgericht (OLG), Verfahrensrügen: Der Greinert-Prozess hatte alles, was ein spektakuläres Verfahren ausmacht. Schon der Anlass hätte kaum aufregender sein können: In einem Straf-Prozess im Juni 2005 log ein vermeintlicher Entlastungszeuge, dass sich die Balken bogen, das Gericht ließ ihn nach allen Regeln der Kunst in die Falle tappen und setzte ihn noch im Gerichtsgebäude fest. Als er dann auspackte, belastete er unter anderem den Rechtsanwalt Paul Greinert schwer: Der habe die Aussage zugunsten seines Mandanten mit ihm abgesprochen. Verteidiger in eigener Sache

Greinert mutierte binnen Minuten zum Verteidiger in eigener Sache, der Vorsitzende Richter rannte hinter seinem Tisch auf und ab, die Staatsanwältin beantragte ein Wortprotokoll. Szenen wie im RTL-Gerichts-Fernsehen.Es ging so weiter. Greinert flog aus dem Prozess, und ein gutes Jahr später fand er sich selbst auf der Anklagebank wieder - wegen Strafvereitelung, Beihilfe zur Falschaussage und Beleidigung des Vorsitzenden Richters. Doch das Verfahren platzte nach zwei Tagen, weil sich der zentrale Zeuge der Anklage auf sein Aussageverweigerungsrecht berief. Es dauerte wieder ein Jahr, bis dessen eigener Prozess abgeschlossen war, so dass seiner Aussage nichts mehr im Weg stand. Seither versucht die 3. Große Strafkammer, das Geschehen rund um die inkriminierte Zeugenaussage zu rekonstruieren. Ein Wettlauf gegen die Zeit, nicht nur wegen des nachlassenden Gedächtnisses der Beteiligten. Paul Greinert ist inzwischen 76, es wirkt bisweilen so, als habe er Mühe, dem Verfahren zu folgen. Andererseits ist er als Verteidiger in anderen Prozessen am Landgericht noch selbst aktiv. Greinerts Anwälte, vor allem der renommierte Berliner Verteidiger Prof. Alexander Ignor, haben an vielen Stellen ihr juristisches Unbehagen über das gesamte Verfahren deutlich gemacht. Es gab etliche Beweisanträge und Verfahrensrügen, und doch haben sie vermieden, ihr argumentatives Pulver vor den Plädoyers zu verschießen. Heikle juristische Grundsatzfragen

Die Staatsanwaltschaft hat sorgfältig darauf geachtet, nicht wieder den Eindruck zu erwecken, man wolle eine Verurteilung Greinerts um jeden Preis erreichen. Offenbar will die Anklage der Verteidigung nicht das Argument liefern, sie habe dem dubiosen Hauptzeugen seine Aussage gegen Greinert allzu nahe gelegt.Es geht um heikle juristische Grundsatzfragen. Wie viel muss ein Verteidiger zur Wahrheitsfindung beitragen, wie weit darf er gehen, um seinem Mandanten zu helfen? Klar ist, dass Paul Greinert den vermeintlichen Entlastungszeugen instruiert hat, den Richter so zu provozieren, dass ein Befangenheitsantrag dabei "abfallen" sollte. Auf der Hand liegt auch, dass Greinert alle Gründe hatte, am Wahrheitsgehalt der entlastenden Aussage zu zweifeln. Und dass er mit dem Zeugen über diese Aussage geredet hat.Was dabei im einzelnen gesprochen worden ist, konnte nicht gänzlich zweifelsfrei geklärt werden. Greinert will von einer Falschaussage nichts wissen, der Zeuge selbst hat letztlich auch nur gemutmaßt, Greinert müsse es wohl klar gewesen sein, dass es sich um eine solche handelte. Wäre der Verteidiger als "Organ der Rechtspflege" verpflichtet gewesen, seine Zweifel offenzulegen? Oder hatte er als Vertreter des Angeklagten das Recht, angesichts der für seinen Mandanten günstigen Aussage über alle Merkwürdigkeiten hinwegzusehen? Durfte er mit einem Zeugen gegen das Gericht paktieren? Je nach Blickwinkel wird man das Verhalten des Verteidigers als legitim, stillos oder rechtswidrig einstufen. Nur in letzterem Fall kommt eine Verurteilung in Frage. Darum dürfte es heute in den Plädoyers gehen. Dass es noch am gleichen Tag ein Urteil gibt, scheint angesichts der angekündigten umfassenden Einlassungen unwahrscheinlich.

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