TÜRKEI

BERLIN. Eine Lieferung deutscher Panzer an die Türkei war fast schon ausgemachte Sache. Wenn Ankara offiziell vorspreche, werde Berlin den "veränderten Realitäten Rechnung tragen", hatte Bundesaußenminister Joschka Fischer noch in der Vorwoche vollmundig erklärt. Seit vorgestern sind die regierungsoffiziellen Bestrebungen allerdings mit einem dicken Fragezeichen versehen.

Das ZDF berichtete über türkische Einsätze gegen Kurden, die auch noch mit Schützenpanzern aus einstigen NVA-Beständen durchgeführt worden sein sollen. Die Fahrzeuge würden von Spezialkräften der türkischen Gendarmerie in Kurdengebieten benutzt, hieß es in dem Bericht. Darin war auch ein ehemaliger NVA-Kompaniechef zu Wort gekommen, der die Fahrzeuge anhand von bestimmten Karosseriemerkmalen identifizieren konnte. Tatsächlich hatte sich Deutschland in einem Vertrag vom Oktober 1994 zur kostenlosen Lieferung von 300 derartigen Gefechtsfahrzeugen an Ankara bereit erklärt. Eine Klausel legt allerdings fest, dass die Geräte ausschließlich der Landesverteidigung dienen müssen. Eventuelle Sanktionen bei einer Vertragsverletzung sind nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums nicht enthalten. Womöglich war das ein Fehler, denn schon im Jahr 1995 soll es erste Hinweise gegeben haben, wonach Ankara die Schützenpanzer zum Einsatz in Kurden-Gebieten missbraucht. Die Bundesregierung reagierte zunächst abweisend auf die ZDF-Recherchen. Bislang lägen keine entsprechenden Erkenntnisse vor, meinte ihr Sprecher Bela Anda. Auch das Verteidigungsministerium versicherte, dass man "nicht das beobachtet" habe, was der Fernsehbericht enthalte. "Wir sind mit den Bildern gestern konfrontiert worden, werden dem aber nachgehen." Immerhin stellte Anda "gegebenenfalls auch Konsequenzen" in Aussicht, falls sich die "Beobachtungen" nicht mit der Realität decken sollten. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Christian Ströbele, zeigte sich unterdessen vom Wahrheitsgehalt der ZDF-Sendung weitgehend überzeugt.Weiterer Rückschlag für Beitrittsverhandlungen

"Mir ist bekannt, dass im Osten der Türkei militärische Aktionen gegen Kurden stattfinden", sagte Ströbele unserer Zeitung. Seine Erkenntnisse stütze er auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen sowie auf Informationen von Kurden vor Ort. Danach seien die Auseinandersetzungen seit Juni wieder im Gange. "Die Frage ist noch, ob es sich um jene Panzer handelt, die damals von uns geliefert wurden", meinte Ströbele. Dafür sprächen aber die Angaben des Ex-Kompaniechefs der NVA. Allein die Bekämpfung der Kurden wäre freilich schon ein hinreichender Grund, um sich von allen weiteren Panzerlieferungen an die Türkei zu verabschieden. Denn nach den geltenden Exportrichtlinien der Regierung spielt die Einhaltung der Menschenrechte im Empfängerland für das politische Votum eine entscheidende Rolle. Er könne sich nicht vorstellen, dass ein Land, das gegen entsprechende Auflagen verstößt, eine Chance auf weitere Rüstungslieferungen aus Deutschland habe, meinte der grüne Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Für Ströbele bedeutet das mutmaßliche Verhalten Ankaras überdies einen "Rückschlag" für die Beitrittsverhandlungen mit der EU. "Das Land würde erheblich an Glaubwürdigkeit einbüßen". /ik

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