Tiefe Furchen

München/Wildbad Kreuth. Die Schlammschlacht ist eröffnet: Heute soll sich in der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth entscheiden, ob Parteichef Edmund Stoiber kippt oder am Ruder bleibt.

In München herrschen am Morgen Frost und Minustemperaturen, der Himmel ist traumhaft blau, leichter Bodennebel umgibt die prächtige Staatskanzlei des Edmund Stoiber. Ein Wetter wie bestellt für Schicksalstage bayerischer Operettenkönige, die am Ende wie weiland Ludwig endgültig im See versinken. Edmund Stoiber sitzt wie immer in aller Herrgottsfrüh in seinem Büro N 406 im vierten Stock der Staatskanzlei. Die Furchen in seinem Gesicht scheinen tiefer zu sein als sonst. Stoiber hat am Wochenende viele Gespräche geführt. Und diejenigen, die mit ihm geredet haben wollen, berichten, der Ministerpräsident wanke, sei aber noch nicht gefallen. "Stimmungsschwankungen" nennen sie das. Für Stoiber nichts Ungewöhnliches. Es beginnt ein Tag, der für seine politische Zukunft von großer Bedeutung sein wird - einer voller brisanter Unterredungen. Wird jemand den weißhaarigen Bayernkönig vom Steg stoßen? Mut ist nicht unbedingt eine christsoziale Tugend. Eher Hinterlist: Der Zeitungsbericht darüber, dass Horst Seehofer - Familienvater, Bundeslandwirtschaftsminister und vor allem Anwärter auf die Nachfolge Stoibers als Parteichef - in Berlin eine Geliebte haben soll, lässt selbst hartgesottene CSUler grausen. "Unerträglich, dass hier etwas in die Medien lanciert worden ist", sagt einer, "unterste Schublade", ärgert sich eine andere. CSU sucht noch einen Verräter

Der bayerische Klüngel hat Seehofer mal eben zum Opfer einer Intrige gemacht; einer der angeblich vielen "politischen Giftschränke", die in der bayerischen Hauptstadt stehen sollen, ist geöffnet worden. Jetzt beginnt die Schlammschlacht. Nur von wem? Die CSU sucht nun auch noch nach einem "Verräter". Erst kommt am frühen Morgen Alois Glück in die Staatskanzlei, der Landtagspräsident, die graue Eminenz der Partei. Auf in hört der Ministerpräsident noch. Stillschweigen wird über das Gespräch beider vereinbart. Glück nennt es hinterher "konstruktiv". Dann folgt Joachim Herrmann, der Fraktionsvorsitzende der CSU im Landtag, ein Mann mit wenig Charisma; einer, der sich in seiner vermeintlichen Rebellenrolle zwar sonnt, aber nur das überbringt, was ihm grantelnde CSU-Abgeordnete mit den Worten "sag ihm das mal" aufgetragen haben. Bei seinen "Gästen" hinterlässt Stoiber den Eindruck, er sei "vital" und "aufgeräumter Stimmung". Ohne Gegenwehr, so die Botschaft, lässt sich der König also nicht vom Thron oder in den See stoßen. Die vor der riesigen Stahltür der Staatskanzlei bibbernden Journalisten sollen sich davon überzeugen: Die Herde wird auf die Alm getrieben, hinauf in den modernen Kabinettssaal. Denn inzwischen ist die bayerische Ministerregie zur Sitzung eingetroffen. Stoiber sitzt betont gelassen in der Mitte des ovalen Tisches, sein Umweltminister Werner Schnappauf redet im unterwürfigen Ton vom bayerischen Rauchverbot in der Gastronomie. "Und in Bars?", fragt Stoiber geschäftsmäßig. Das hat schon etwas Skurriles. Der bayerische Löwe kämpft ums Überleben - und spielt demonstrativ den Alltag, den er sich so sehr zurückwünscht. Er muss seine Planungen ändern. Eigentlich wollte Stoiber erst heute nach Wildbad Kreuth fahren, wo sich die Landtagsfraktion zur mit Spannung erwarteten Klausur trifft. Angesichts der Krise reist er schon einen Tag früher an, um dem 40-köpfigen Vorstand Rede und Antwort zu stehen. Es wird ein Spießrutenlauf, wie ihn der CSU-Chef noch nie erlebt hat. "Ich kämpfe für meine Ziele", sagt Stoiber bei seiner Ankunft. Das tun andere auch: Die CSU bietet ein verwirrendes und uneinheitliches Bild. Die einen machen vor der Tür des ehrwürdigen Tagungsortes keinen Hehl daraus, dass es nur "ohne Stoiber" weitergehen kann; andere haben Angst vor der "Spaltung der Fraktion". CSU-Generalsekretär Markus Söder rechnet hingegen mit einem "klaren Signal für Edmund Stoiber". Heute Mittag will der Ministerpräsident nun die Abgeordneten mit einer flammenden Rede wieder auf seine Seite ziehen. Ob das reicht? Alles ist heute möglich - die CSU und ihr Vorsitzender stehen am Scheideweg.

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