Tödliche Ente

Washington . Fataler Irrtum: Nach gewaltsamen Protesten in Afghanistan und anderen Teilen der islamischen Welt hat das US-Magazin "Newsweek" eingeräumt, dass sein Bericht über Koranschändungen im US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba möglicherweise falsch war.

Michael Isikoff gilt in den USA als Star innerhalb der Reporter-Branche. Der Berichterstatter für das Wochenmagazin "Newsweek" hatte in der Vergangenheit oft mit exklusiven Nachrichten die Nase vorn - dank Informationen, die er meist aus anonymen Quellen bezieht. Auch in der vergangenen Woche, am 9. Mai, glaubte Isikoff, den Lesern eine "heiße" Nachricht präsentieren zu können. Amerikanische Ermittler hätten ihm, so der Reporter, skandalöse Geschehnisse im US-Internierungslager Guantanamo Bay bestätigt: Soldaten hätten dort, um Gefangene zu demütigen, Ausgaben des Koran als Toilettenpapier genutzt. Der Bericht löste sogleich rund um den Erdball bei Moslems Empörung aus. In Afghanistan kam es zu gewaltsamen Protesten gegen die amerikanische Politik, bei denen 16 Menschen starben und mehr als 100 verletzt wurden. Auch in Indonesien, Pakistan und Ägypten gingen hunderte Demonstranten gegen den angeblichen Affront auf die Straße. Doch am Wochenende musste "Newsweek" eingestehen, seinen Lesern eine "Ente" mit tödlichen Folgen präsentiert zu haben. "Wir bedauern, uns bei einem Teil unserer Geschichte getäuscht zu haben", erklärte Herausgeber Mark Whitaker und bat gleichzeitig die Opfer der durch die Berichterstattung ausgelösten Unruhen um Verzeihung: "Wir entschuldigen uns bei allen Angehörigen von Menschen, die dabei zu Schaden kamen." Der spektakuläre Rückzieher des Nachrichtenmagazins erfolgte, nachdem Mitglieder der US-Regierung vehement die Seriosität der Berichterstattung in Frage gestellt hatten - und Newsweek-Reporter Isikoff für sein schlagzeilenträchtiges Thema einmal mehr lediglich eine "gut unterrichtete Regierungsquelle " hatte nennen können, die anonym bleiben müsse. Diese Quelle, so Isikoff, habe ihm von einem Bericht des Pentagon erzählt, in dem davon die Rede sei, dass Vernehmungsbeamte auf Guantanamo Bay Ausgaben des Koran auf Toiletten ausgelegt hätten. Mindestens ein Exemplar, so Isikoff weiter, sei dabei auch herunter gespült worden. "Dieser Hurensohn hat Lügen verbreitet"

Seit dem Wochenende heißt es jedoch, dass sich die anonyme Quelle "nicht mehr sicher sei", dass der zitierte Vorfall in dem Militärbericht überhaupt zur Sprache gekommen sei. "Newsweek"-Herausgeber Whitaker bemüht sich deshalb nun um Schadensbegrenzung: "Wir sagen nicht, es ist auf jeden Fall passiert, aber wir können auch nicht sagen, dass es auf keinen Fall passierte." Pentagon-Sprecher Larry deRita fand am Wochenende ungewöhnlich starke Worte für den Faux pas des "Newsweek"-Reporters: "Menschen sind gestorben, amerikanische Flaggen werden verbrannt, und unsere Truppen geraten in Gefahr, weil dieser Hurensohn Lügen verbreitet hat." Das US-Verteidigungsministerium hatte den Bericht in der vergangenen Woche bereits als falsch und "nicht glaubwürdig" eingestuft. Ob die Entschuldigungsversuche von "Newsweek" in moslemischen Ländern Wirkung zeigen, ist offen. Rechtsexperten gehen in den USA mittlerweile davon aus, dass es in der nächsten Zeit zu Schadensersatzklagen gegen das Nachrichten-Magazin durch Betroffene kommt, deren Angehörige bei den durch die Story ausgelösten Unruhen zu Schaden kamen.

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