Tränen, Trotz und Treueschwüre

Hillary Clinton hat am Samstag ihre Niederlage bei den US-Vorwahlen eingestanden und dem Sieger Barack Obama beim Kampf ums Weiße Haus ihre volle Unterstützung zugesagt.

Washington. Als der entscheidende Satz gesprochen ist, fließen Tränen. Vielen Fans, die weiter ihre "Hillary 2008" -Shirts und Baseballkappen tragen, stehen Enttäuschung und auch Wut ins Gesicht geschrieben, als die gescheiterte Kandidatin feststellt: "Ich gebe ihm meine volle Unterstützung." Über sieben Minuten, so zeigt ein Blick auf die Uhr, braucht Hillary Clinton während ihrer knapp halbstündigen Rede, um erstmals das Wort "Barack Obama" in den Mund zu nehmen. Sofort gibt es Buhrufe aus der Menge - und die frühere First Lady regt keine Hand, um diese zu unterbinden. Stattdessen wartet sie mit der reglosen Miene einer Pokerspielerin. Wie ernst meint es die Verliererin?

"Wieder ging es vor allem um sie", kommentiert später die "New York Post" und stellt die Fragen, die derzeit alle Demokraten mit Blick auf das Wahlfinale am 4. November bewegen: Wie ernst sind die Sympathieerklärungen der Verliererin gemeint, und wie lange werden die Treueschwüre halten - vor allem, wenn Barack Obama seine Senatskollegin nicht als Vize-Kandidatin verpflichtet?"We are family" - wir sind eine Familie, plärrt aus den Lautsprechern im "National Building Museum" in Washington, dessen kathedralenartiger Festsaal eine prächtige Kulisse für eine Krönungsmesse bilden würde. Doch auf dem Programm steht Abschied. 45 Minuten lang lässt Hillary Clinton die rund 2500 Gäste warten - sie ist wie fast immer während ihrer Präsidentschaftsbewerbung zu spät dran, was mittlerweile durchaus Symbolcharakter hat im Duell mit einem Mann, der am Ende bei den Wählern die Nase vorn hatte. Bei den Worten des Lobes, die Hillary Clinton für Barack Obama offeriert, klingen wenig Emotionen mit: Sie liest diese mit gesenkten Augen vom Manuskript ab, vermeidet die sonst bei ihr übliche freie Rede und den schweifenden Blick durch die Menge. Zwar ist kein Anflug von Bitterkeit zu sehen, aber auch keine Herzenswärme. Als Clinton schließlich das "Yes we can!"-Mantra Obamas aufgreift und dabei das große Ziel eines Regierungswechsels propagiert, sind wieder Buhrufe unüberhörbar."Die Partei hat uns den Sieg gestohlen", wettert im Publikum eine aus New York angereiste Hillary-Unterstützerin mit Blick auf den zuletzt massiven Druck von Parteiführern, die Niederlage anzuerkennen. Ginge es nach ihr, hätte die als Favoritin gestartete Politikern den Kampf trotz der Delegiertenmehrheit für Obama noch bis zum Parteitag in Denver fortführen sollen. "Er muss sich meine Unterstützung erst verdienen", spricht ein Demokrat aus Maryland anderen aus der Seele. Obama bedankt sich kurz nach den letzten Worten Clintons mit einer Stellungnahme aus Chicago: "Sie hat Millionen inspiriert, ich fühle mich durch ihre Unterstützung geehrt." Doch es ist die Rückendeckung einer weiter kühl kalkulierenden Politikerin: Hillary Clinton hat am Wochenende ihre Bewerbung nämlich nicht vollständig zu den Akten gelegt, sondern "suspendiert". Das bedeutet: Sie behält weiter die Delegierten, die sie gewonnen hat - und kann ihre Wahlkampagne jederzeit wiederbeleben. Meinung Perfekte Familie? We are family. Wir sind eine Familie. Dieser Song, natürlich bewußt gewählt, begleitete die Treueschwüre von Hillary Clinton, als sie am Samstag in Washington dem Parteifreund und Spitzenkandidaten Barack Obama ihre volle Unterstützung versicherte und ihre Ambitionen formell zu den Akten legte. Doch wie harmonisch geht es in dieser "Familie" wirklich zu, deren Hauptakteure sich sechs Monate lang erbittert bekämpft haben? Die Buhrufe aus der Menge, die bei jeder Erwähnung des Siegers unüberhörbar waren, lassen nichts Gutes für die Zeit bis zum Wahltag am 4. November erwarten. Und die Rednerin rührte keine Hand, um die Unzufriedenen zu beschwichtigen. Hillary Clinton hat bei ihren Wählern keine Gelegenheit versäumt, die Unerfahrenheit und damit mangelnde Eignung ihres Gegners für das hohe Amt herauszuarbeiten. Wie es nun die frühere First Lady schaffen will, ihre Kritik von gestern in das Lob von morgen umzuwandeln, bleibt vorerst ihr Geheimnis - ebenso wie die Strategie für ihre persönliche politische Zukunft. Denn würde sie eiskalt kalkulieren, könnte ihr auch in den Sinn kommen: Ein Scheitern Obamas gegen John McCain würde sie zur klaren Favoritin für das Wahljahr 2012 machen. nachrichten.red@volksfreund.de

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