Trierer Frankreich-Experte zur Wahl von Macron: "Gut für die Großregion"

Trier · Der Trierer Politikwissenschaftler Joachim Schild hofft, dass Frankreich die Spaltung überwindet.

 Joachim Schild, 54, ist Professor für vergleichende Regierungslehre an der Uni Trier. Foto: privat

Joachim Schild, 54, ist Professor für vergleichende Regierungslehre an der Uni Trier. Foto: privat

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In Frankreich wurde die Stichwahl häufig als Wahl zwischen Pest und Cholera bezeichnet. Ist der Sieg von Macron tatsächlich mit der Cholera zu vergleichen?
JOACHIM SCHILD Der Wahlsieg Macrons bietet große Chancen für Frankreich. Er hat das Mandat, Wirtschaftsreformen durchzuführen, die das Land dringend benötigt, wenn es seine internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen, die Arbeitslosigkeit senken und seinen Staatshaushalt in Ordnung bringen will. Es ist ihm zu wünschen, dass er den tiefen Zukunftspessimismus, der sich wie Mehltau über Frankreich gelegt hat, erfolgreich bekämpfen und dem Land den Glauben an sich selbst und seine vielfältigen Potenziale zurückgeben kann.

Was sagt der Sieg über den gesellschaftlichen und politischen Zustand Frankreichs aus?
SCHILD Der Wahlsieg eines Politikers, den vor drei Jahren niemand kannte, der nie zuvor in ein Amt gewählt wurde und keine Parteibasis hat, ist Ausdruck einer ausgeprägten Repräsentationskrise und des tiefen Misskredits der politischen Elite Frankreichs. Dies hat auch mit Scheitern seiner Vorgänger zu tun, die kein Rezept gegen die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit, die Deindustrialisierung des Landes und die Integrationsprobleme von eingewanderten Minderheiten gefunden haben.

Glauben Sie, dass es Macron gelingt, das Volk wieder stärker zu einen?
SCHILD Der Wahlkampf hat die tiefen politischen, sozialen und kulturellen Spaltungen des Landes offengelegt und zugleich auch verstärkt. Macron kann diese Spaltungen reduzieren, wenn er sein liberales wirtschaftliches Reformprogramm gegen erhebliche Widerstände durchsetzen kann.

Wie wird sich unter Macron das deutsch-französische Verhältnis entwickeln?
SCHILD Er hat klargemacht, dass für ihn die deutsch-französische Sonderbeziehung zentrale Bedeutung in der Europapolitik hat. Wir werden deutsch-französische Initiativen sehen, etwa auf dem Feld der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Wichtig für ein gedeihliches deutsch-französisches Verhältnis ist es, dass es Macron durch erfolgreiche Wirtschaftsreformen gelingt, das gewachsene Machtgefälle zu Deutschland zu verringern und mit Berlin auf Augenhöhe zu verhandeln. Für Berlin ist Macron eindeutig der Wunschpartner.

Glauben Sie, dass der Sieg Macrons Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in der Großregion hat?
SCHILD Der Sieg Macrons bewahrt uns vor verschärften Grenzkontrollen und der Aufkündigung des Schengener Abkommens zur Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen den Teilnehmerstaaten. Die Niederlage des Nationalismus in Gestalt Marine Le Pens ist eine gute Nachricht für Einwohner der Großregion.

Macron ist ja eher atomfreundlich eingestellt. Das dürfte wenig Hoffnung auf einen Ausstieg Frankreichs aus der Atomenergie machen, oder?
SCHILD Einen Ausstieg aus der Atomenergie wird es mit Macron nicht geben, er hat sich als Wirtschaftsminister für den Neubau von Atomkraftwerken eingesetzt. Aber er will den Anteil der Atomenergie an der Stromproduktion mittelfristig auf 50 Prozent reduzieren - von heute fast 80 Prozent. Was dies für das AKW in Cattenom bedeutet, ist derzeit noch unklar.

Gerade in Grenzregionen hat Marine Le Pen ja überdurchschnittlich abgeschnitten. Woran liegt das?
SCHILD Dies hat weniger mit der Lage an der Grenze zu tun, sondern damit, dass die Grenzregionen im Norden und Osten des Landes, in denen Le Pen erfolgreich ist, besonders stark von wirtschaftlichem Strukturwandel betroffen sind, dem Niedergang von Kohle und Stahl. Diese Regionen und ihre Einwohner fühlen sich wirtschaftlich abgehängt und vergessen. Zukunftspessimismus prägt die Stimmung. Dies macht die Menschen anfällig für Politiker, die einfache politische Lösungen versprechen.

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