Trump seit einem halben Jahr Präsident der USA: Die anderen sind schuld

Youngstown · Sechs Monate nach seinem Amtsantritt kehrt Donald Trump nach Youngstown/Ohio zurück. Von Enttäuschung ist nichts zu spüren.

Die beiden grauhaarigen Damen haben ihre Klapp stühle am Straßenrand aufgestellt. 60 Kilometer sind sie gefahren, um da zu sein, wenn der Präsident kommt. Es ist heiß in der Sonne, aber tapfer halten sie ihre selbst gemalten Schilder hoch: "Enthebt Trump des Amtes" steht auf dem einen und "Rettet Medicare" auf dem anderen. Doch an diesem Tag möchte keiner die Botschaft der beiden wackeren Demokratinnen hören.

Im Gegenteil: Der Pulk von Menschen, der auf der anderen Straßenseite immer größer wird, ist gekommen, um zu feiern: Den Mann, der ihnen versprochen hat, Amerika wieder groß zu machen, und dem sie zum Wahlsieg verholfen haben. Es sind noch vier Stunden bis zum Auftritt von Donald Trump in Youngstown, Ohio, aber vor der Halle drängen sich schon Tausende. Viele tragen T-Shirts, die mit der amerikanischen Flagge bedruckt sind, und auch sie haben Plakate mitgebracht. Diese aber sind mit Trumps Wahlkampfslogan bedruckt: Make America great again.

Auch Joe Dagati und seine Frau Jean sind schon nachmittags gekommen, um auf jeden Fall einen Platz in der 7000-Sitze-Halle zu ergattern. Sind sie enttäuscht, dass Trump in seinem ersten halben Jahr so wenig erreicht hat? "Aber nein", sagt die schlanke Jean Dagati, der man ansieht, dass sie als Fitnesstrainerin gearbeitet hat: "Er tut doch, was er kann". Dass Trump bisher weder seine Versprechen zur Gesundheits- und Steuerreform oder Einwanderung umgesetzt hat, sei nicht seine Schuld, findet sie. "Seine Gegner behindern ihn." Joe ist pensionierter Zahnarzt, er hat Trump vor allem gewählt, weil der Steuersenkungen angekündigt hat. Für Jean aber ist das Wichtigste, dass dieser Präsident kein normaler Politiker ist. "Er sagt, was er denkt. Die anderen tänzeln immer nur darum rum."

Trump sagt auch an diesem Abend, was er denkt. Dass die Medien darauf aus sind, ihm zu schaden. Dass er Amerikas Interessen an die erste Stelle setzen werde. Das Recht auf Waffenbesitz verteidigen. Kriminelle Banden illegaler Einwanderer zerstören - und zwar "nicht auf politische korrekte Weise". Und natürlich: die Mauer zu Mexiko bauen. Es ist die Rede, die er schon oft im Wahlkampf gehalten hat - nur dass er heute an der Spitze der Regierung steht. Die Menschen in der voll besetzten Halle stört das nicht. Jeden Satz bejubeln sie lautstark. Sie rufen "CNN ist das Letzte", wenn er Medien bashing betreibt, und "Leg den Sumpf trocken", wenn er über Washington spricht.
Es ist ein guter Tag für Trump. In der Hauptstadt hat sich am Nachmittag der Senat dafür ausgesprochen, Beratungen über die Abschaffung von Obamacare aufzunehmen (siehe Info). Und hier in der Halle von Youngstown "im Herzen Amerikas weit weg vom Washingtoner Sumpf", wie er sagt, ist der frühere Immobilienmogul in seinem Element.
Die Einführung des Präsidenten auf der Bühne hat die im sechsten Monat schwangere Lara Trump übernommen, Ehefrau von Trumps Sohn Eric. Es sei großartig, dass sie "einen Sohn in einer Welt willkommen heißen werde, in der Donald Trump unser Präsident ist", ruft sie in die applaudierende Menge. Wenig später holt ihr Schwiegervater einen Mann ans Pult, den er morgens bei Fox im Fernsehen gesehen hat: Gino DeFabio ist nach eigenem Bekunden langjähriger Demokrat, aber nun Trumps größter Fan - auch wenn er seinem Präsidenten als erstes für dessen Ehefrau Melania "dankt".

Den Bezirk Mahoning, in dem Youngstown liegt, hatte Trump bei der Wahl an Hillary Clinton verloren, aber so knapp, dass es trotzdem ein Sieg war. Denn die einstige Stahlregion ist traditionell demokratisches Kernland. 2016 aber liefen die Wähler scharenweise zu Trump über, der ihnen die Rückkehr der im Strukturwandel verlorenen Jobs versprach. Auch Leonard Eansic hat Trump gewählt. 30 Jahre lang sei er Demokrat gewesen, erzählt der schlanke ältere Herr im Amerika-Hemd, der mit Familie einschließlich der zehnjährigen Enkelin gekommen ist. Auch Ehefrau Cecile und Tochter Cathleen, die beim Telekomkonzern Verizon arbeitet, haben für den Republikaner gestimmt. Bereut haben sie es nicht. Seit Trump Präsident sei, "sind plötzlich wieder Stellenanzeigen in der Zeitung", berichtet Cecile. Und Trumps Twitter-Ausfälle, die diplomatischen Patzer, die Russen-Affäre? "Bullshit", wirft Opa Leonard ein.
Er könne auch "präsidentiell" und zwar besser als jeder seiner Amtsvorgänger, außer "dem späten, großen Abraham Lincoln", hat Trump in der Halle gerufen. Aber den Präsidialauftritt wollen seine Anhänger gar nicht von ihm. In Youngstown sei das so: "Wenn einem einer eine reinhaut, haut man zweifach zurück", sagt Ex-Zahnarzt Dagati. Der Sohn italienischer Einwanderer ist erst vor ein paar Jahren in seine Heimatstadt zurückgekehrt nach 15 Jahren in Kalifornien. Die Stimmung in der Stadt sei damals mies gewesen. Nun gehe es langsam bergauf. Dass die Konjunkturerholung schon unter Trumps Vorgänger Barack Obama begonnen hat, glauben oder wollen sie hier nicht glauben. Um Amerika zu verändern, habe dieser Präsident vier Jahr Jahre Zeit, sagt Jean Dagati. "Und hoffentlich länger."Extra: US-SENAT DEBATTIERT ÜBER ENDE VON OBAMACARE


(dpa) Der US-Senat hat seinen ersten Schritt zur Abschaffung von Obamacare unternommen. Er stimmte am Dienstag mit der knappest möglichen Mehrheit dafür, eine Debatte über ein Alternativ gesetz zu eröffnen. Vizepräsident Mike Pence musste das Unentschieden mit seiner Stimme brechen, weil zwei republikanische Senatorinnen mit Nein gestimmt hatten. Damit hatte es 50:50 gestanden. Alle 48 Demokraten stimmten mit Nein. Knapp an der Niederlage vorbeigeschrammt, macht die formale Entscheidung dem Senat zunächst den Weg für eine Debatte frei. Bei der Abstimmung war nicht bekannt, über welche Inhalte nun debattiert werden sollte. Ende der Woche wird dann vermutlich über eine Abschaffung oder einen Ersatz für Obamacare entschieden. Das US-Repräsentantenhaus hat mit überwältigender Mehrheit einen Gesetzentwurf zu neuen Sanktionen gegen Russland verabschiedet. Die Abgeordneten stellten damit auch sicher, dass US-Präsident Donald Trump die Strafmaßnahmen gegen Moskau nicht ohne Zustimmung des Kongresses aufheben kann. Auch der Iran und Nordkorea sollen mit weiteren Sanktionen belegt werden. Nach dem Repräsentantenhaus muss noch die zweite Kammer des Kongresses, der Senat, über den Entwurf abstimmen. Dann muss Trump ihn unterzeichnen. Das Ergebnis war ein deutliches überparteiliches Signal der Abgeordneten, Moskau klare Kante zu zeigen.

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