Truppenpräsenz als Gretchenfrage

WASHINGTON. In den USA verschärft sich die Debatte darüber, wie lange die Vereinigten Staaten als Besatzungs-Macht im Irak aktiv sein werden - und wie angesichts der Absicht, beim Wiederaufbau die Fäden in der Hand zu halten, internationale Unterstützung für die Friedenssicherung gewonnen werden kann.

Mit der Ankunft des pensionierten US-Generals und designiertenZivil-Verwalters Jay Garner in Bagdad hat gestern für das WeißeHaus offiziell die letzte Phase der Irak-Intervention begonnen:die Stabilisierung und der Wiederaufbau des Landes. Gleichzeitigspitzt sich die Diskussion um die Dauer der Besatzung und dieEinbindung der Nato-Partner zu. Nachkriegspläne nicht ausgereift

US-Präsident George W. Bush vermied am Wochenende auf Reporterfragen hin eine konkrete Festlegung über Dauer und Umfang der amerikanischen Präsenz. Präziser gab sich der Vorsitzendes des Kongress-Ausschusses für Außenpolitik, der republikanische Senator Richard Lugar. Er sieht die Notwendigkeit zu einem mindestens fünfjährigen US-Engagement vor Ort und offenbarte schonungslos, dass sich die Planung des Weißen Hauses bisher vor allem der Kriegführung, aber nicht der Zeit danach gewidmet hat: "Es ist überhaupt nicht klar, was uns das Ganze kosten wird und wie der Irak künftig politisch funktionieren soll", räumte der Bush-Parteifreund am Wochenende ein.

Der US-Präsident befindet sich in der Frage der künftigen Militärpräsenz in einer Zwickmühle: Zieht sich eine Stationierung der Truppen über Jahre hin, dürfte vor allem im arabischen Lager der Vorwurf immer lauter werden, Washington sei gar nicht an einer Unabhängigkeit des Landes, sondern an größtmöglicher Kontrolle gelegen. Ruft er die Truppen jedoch zurück, bevor funktionierende neue Strukturen existieren, könnte dies Machtkämpfen rivalisierender Gruppen Vorschub leisten und eine Demokratisierung verzögern oder ganz verhindern.

US-Außenminister Colin Powell lotet derzeit einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma aus: Ihm schwebt eine Helfer-Rolle der Nato bei der künftigen Friedenssicherung vor, wobei man in Regierungskreisen angesichts des Widerstandes einiger europäischer Staaten gegen den Krieg und gegen eine Führungsrolle Washingtons beim Wiederaufbau davon ausgeht, dass die Vereinigten Staaten selbst unter dem Dach der nordatlantischen Allianz über Jahre hinaus mindestens 200 000 Mann stellen müssten. Im US-Verteidigungsministerium arbeitet man deshalb fieberhaft an einem Konzept für eine langfristige militärische Kooperation zwischen der künftigen irakischen Regierung und den "Befreiern".

Pentagon-Chef Donald Rumsfeld hofft, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Denn ein jetzt auf dem Tisch liegendes Planungspapier sieht vor, dass US-Truppen künftig zeitlich unbegrenzten Zugang zu vier größeren Militärbasen im Irak haben sollen. Dies würde Washington nicht nur die Möglichkeit geben, bei Krisen im Land schneller intervenieren zu können. Der eigentliche Hintergedanke ist offenbar, durch eine ständige - wenn auch stark reduzierte - Militärpräsenz im Irak benachbarte Staaten wie den Iran oder Syrien zu dauerhaftem Wohlverhalten anhalten zu können. Doch ob dieser Plan aufgeht, wird wesentlich von der Bereitschaft der neuen irakischen Regierung abhängen, solche Privilegien zu gewähren.

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