Überraschende Prognose: Die Zahl der Schüler wächst rasant

Gütersloh · Schreckensszenario oder wichtige Warnung? Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung steigen die Schülerzahlen in Deutschland bis zum Jahr 2030 viel stärker als bislang angenommen. Unter dem Titel "Demographischer Wandel ade - Aktuelle Bevölkerungsentwicklung und Folgen für die allgemeinbildenden Schulen" listen die Forscher aus Gütersloh auf, was an zusätzlichen Kosten auf Länder und Kommunen zukommt und wie gegengesteuert werden kann.

Nach ihrer Prognose gibt es bis 2025 rund vier Prozent mehr Schüler, bis 2030 ist es ein Plus von acht Prozent.

Was ist das Problem?
Laut Studienautor Dirk Zorn beruht die offizielle Schülerprognose der Kultusministerkonferenz noch auf Zahlen von 2012. "Seitdem sind aber zwei Dinge passiert: Fünfmal in Folge ist die Zahl der Geburten gestiegen, und wir hatten deutlich höhere Zuwanderungszahlen als erwartet", sagt der Autor.

Warum warnt die Bertelsmann-Stiftung?
Ein Umsteuern im Schulsystem braucht erheblichen zeitlichen Vorlauf. Experten gehen von rund sieben Jahren aus, um reagieren zu können. "Das gilt für zusätzliche Lehrkräfte genauso wie für neue Schulgebäude. Die veränderte demografische Entwicklung mit ihren Folgen für die Schülerzahlen muss deshalb jetzt auf die politische Agenda", sagt Zorn als Fazit.

Wie haben die Studienautoren das Problem der alten Zahlen gelöst?
Sie haben die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes (2015) mit noch neueren Zahlen des Babynahrungsherstellers Milupa für ihre Berechnungen genutzt. Das Unternehmen verfügt über Geburtenzahlen aller deutschen Geburtsstationen der Krankenhäuser des Jahres 2016.

Wie seriös ist ein so weiter Blick in die Zukunft?
"Der Anstieg der Schülerzahlen war so nicht absehbar. Auch wir haben vor ein paar Jahren noch mit weiter sinkenden Zahlen gerechnet", sagt Dirk Zorn, der mit Professor Klaus Klemm die Studie erstellt hat. Ewald Terhart von der Universität Münster bezeichnet die Studie als gut und sehr interessant. Aber: Es gebe Grenzen und Lücken. Der Professor warnt davor, die alten Zahlen der Kultusministerkonferenz von 2012 mit der unsicheren Prognose der Bertelsmann-Stiftung im Vergleich zu vermischen.

Was fordert die Stiftung?
Die Autoren fordern, das Schulsystem müsse sich auf die unsichere Entwicklung der Schülerzahlen einstellen und flexibler werden. Zu klären wäre etwa: Wie können zusätzliche Lehrkräfte und Schulen bezahlt werden? Und wie kann sich das Schulsystem besser an schwankende Schülerzahlen anpassen? "Kürzere Planungsvorläufe für den Bau neuer Schulgebäude wären hilfreich, genauso wie flexiblere Raumnutzungskonzepte."

Welche Zahlen machen den Studienautoren am meisten Sorgen?
Beim Abgleich der bisherigen Prognose der KMK und der neuen Zahlen ergeben sich große Differenzen. Demnach gibt es im Jahr 2020 mit 7,87 Millionen Schülern im Gegensatz zur alten Prognose ein Plus von 470 000. 2025 steigt die Schülerzahl demnach auf 8,26 Millionen an, die Lücke in der Prognose wächst auf eine Million an. 2030 würde es laut Studie 8,59 Millionen Schüler geben. Da die KMK-Prognose 2025 endet, ist hier kein Abgleich mehr möglich. Der Schülerzuwachs trifft vor allem Grundschulen und die ersten Jahre der weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I). In den Oberstufen (Sekundarstufe II) gehen die Zahlen bis 2030 vorerst zurück.

Wie schaut es mit den Schülerzahlen in naher Zukunft aus?
Bis zum Jahr 2022 passiert nicht viel. Darauf weist Terhart, Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaften der Uni Münster, hin. Die Mischung aus höheren Geburtenzahlen und Zuwanderung mache sich erst ab 2022 an den Grundschulen bemerkbar.

Trifft das Problem alle Bundesländer und Kommunen gleich?
Nein, es gibt starke regionale Unterschiede. Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium teilt mit, dass die Berechnungen nicht 1:1 auf das Land übertragbar seien. Sprecherin Sabine Schmidt sagt, das Land rechne mit 519000 Schülern im Jahr 2025 und mit 523 800 im Jahr 2030. Das seien aber 3,3 Prozent und 2,4 Prozent weniger als im Jahr 2016.

Gibt es bereits Länder, die reagiert haben?
Berlin plant den Bau zahlreicher zusätzlicher Schulen. Grund ist die seit Jahren ansteigende Bevölkerungszahl in der Hauptstadt. Rheinland-Pfalz sieht sich im Soll. 4,5 Milliarden Euro pro Jahr, also ein Viertel des Landeshaushalts, fließe in die Bildung, teilt das Ministerium mit. Bei neuen Lehrerstellen beobachte das Land ständig die Entwicklung. "Steigende Schülerzahlen bedeuten höheren Bedarf und damit mehr Einstellungen von Lehrkräften", sagt Ministeriumssprecherin Sabine Schmidt.
Was fordern Verbände in Rheinland-Pfalz?

Die Lehrergewerkschaften im Land sehen besonders die Versorgung in Grundschulen gefährdet. Der Mangel sei nicht zu beheben, wenn die Arbeit mit kleineren Kindern weniger honoriert werde. Grundschullehrer verdienen nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) 400 bis 600 Euro weniger als Lehrer an weiterbildenden Schulen.
Wirkt sich die Bertelsmann-Studie auf die Prüfung kleiner Grundschulen in Rheinland-Pfalz aus?

Das Bildungsministerium warnt vor dem Eindruck, dass es künftig überall in Deutschland massenhaft Schüler geben werde und prophezeit Unterschiede zwischen dem ländlichen Raum und Ballungsgebieten. Vor diesem Hintergrund sei es weiterhin notwendig, kleinste Grundschulen zu überprüfen, was bei 41 im Land derzeit der Fall ist. Die Entwicklung der Schülerzahlen und die Studie würden aber einbezogen.Mehr zum Thema:

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