Überrumpelt – und wie!

BERLIN. Am Abend eines grandiosen Sieges für ihre Partei wurde CDU-Chefin Angela Merkel doch noch vom politischen Gegner überrumpelt. Und wie!

Als Angela Merkel schon kurz nach der ersten Hochrechnung vor die 800 jubelnden Anhänger im Berliner Konrad-Adenauer-Haus trat, wusste sie noch nichts von der politischen Sensation, die am Nachmittag nur einige hundert Meter Luftlinie entfernt im Kanzleramt ausgekungelt worden war. Mit breitem Lächeln ließ sich die CDU-Vorsitzende also als erste der Berliner Politprominenz feiern, mehrfach wurden ihre Sätze von "Bravo"- und "Angie-, Angie"-Rufen unterbrochen, insbesondere, als sie die Abwahl der letzten rot-grünen Landesregierung in Deutschland fast befreiend verkündete. Doch der historische Wahlsieg der CDU in Nordrhein-Westfalen verblasste schier in Berlin, als bekannt wurde, was Kanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering heimlich ausgeheckt hatten: Sie wollen den Weg für Neuwahlen in Deutschland frei machen – wie auch immer das geschehen soll. In der CDU-Zentrale schlug diese Nachricht aus dem Lager der Sozialdemokraten wie eine Bombe ein. Auf einmal lag der Personalball wieder im Feld der Union – die Wahl in NRW trat prompt in den Hintergrund der aufgeregten Gespräche. Schnell war für die Partei-Anhänger allerdings klar, wen sie im Herbst am liebsten gegen Gerhard Schröder ins Rennen ums Kanzleramt schicken wollen: Angela Merkel. Wird sie jetzt tatsächlich die Kanzlerkandidatin von CDU und CSU? Wird sie vielleicht heute schon auf den Thron gehievt, wenn die Gremien ihrer Partei getagt haben? Bereits vor der NRW-Wahl deutete angesichts der Umfragen alles darauf hin, dass ein Sieg im bevölkerungsreichsten Bundesland, bei der so gennannten kleinen Bundestagswahl, auch die K-Frage innerhalb der Union schnell beantworten würde – zugunsten Merkels. Aber so schnell? Die Union wirkte gestern wie auf dem falschen Fuß erwischt, wie ein aufgeschrecktes Huhn, denn mit dem Coup der Genossen Schröder und Müntefering hatte niemand der Parteioberen gerechnet. Und so kam es, dass keiner des Spitzenpersonals in den C-Parteien – weder der Bayer Edmund Stoiber noch Merkel selbst – in der Lage war, ein klares Wort zu der brennenden Personalfrage zu sprechen. Stattdessen wurde kräftig laviert. "Mit Angela Merkel gewinnt die Union Wahlen"

"Wir sind selbstverständlich vorbereitet", meinte Merkel. "Wir werden einen engagierten, beherzten Wahlkampf führen." Und nach mehrfachem Drängen gab sie zumindest zu Protokoll: "Ich bin mit Sicherheit nicht geschwächt heute Abend." CSU-Chef Edmund Stoiber meinte, CDU und CSU würden "sehr rasch die inhaltlichen und personellen Fragen" klären. Wobei Ersteres den Unionsparteien noch Kopfschmerzen bereiten wird, denn es gibt zahlreiche programmatische Baustellen. Deutlicher zur K-Frage äußerte sich CDU-Generalsekretär Volker Kauder: "Die Botschaft des heutigen Tages heißt: Mit Angela Merkel gewinnt die Union Wahlen." Einer rieb sich gestern ganz besonders die Hände: FDP-Chef Guido Westerwelle. Ihm sah man förmlich an, dass er seine Partei bereits in Regierungsämtern sitzen sah. Unter einer Kanzlerin Merkel?

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