"Unausgegorene Sachen"

BERLIN. Es knirscht mal wieder im rot-grünen Getriebe. Erst hat Kanzler Schröder einseitig verkündet, es gebe vorerst keine weiteren Reformen. Dann sagte der grüne Koalitionspartner, es gehe normal weiter mit den Reformen. Mal wieder herrscht daher Miss-Stimmung in der Bundesregierung.

Die "falsche Kommunikation" ist mal wieder an allem schuld. Die Koalition, klagte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Montag im SPD-Parteirat, bringe ihre Botschaften nicht richtig unters Volk. Dass er selbst erst in der vergangenen Woche für die von ihm beklagte "Kakophonie" (misstönende Vielstimmigkeit) gesorgt hat, überging er geflissentlich. Und weil auch Generalsekretär Olaf Scholz und das Führungspersonal der Grünen die Debatte mit verwirrenden Äußerungen bereichert haben, ist die Koalition mal wieder mehr mit sich selbst als mit dem Regieren beschäftigt. Am Montag ging es deshalb im Parteirat der SPD zur Sache. Besonders die Genossen aus Nordrhein-Westfalen (wo im Herbst Kommunalwahlen stattfinden) und aus dem traditionell kritischen Hessen-Süd führten dabei bittere Klage über den Zustand des rot-grünen Bündnisses. Und wie immer, wenn es eng wird, drehte Schröder den Spieß um und beschuldigte die kleinen Grünen, am großen Durcheinander mitverantwortlich zu sein. Immer wieder versuchten sie, sich gegenüber der SPD als "Reformmotor" zu profilieren. Der Kanzler empfindet dieses Gebaren als ungerecht, sieht er sich doch selbst als tapferer Chefreformer. In der SPD-Fraktion hatte der Kanzler am vergangenen Dienstag mit der vielzitierten Aussage überrascht, wonach "die Grenze der Belastbarkeit erreicht" sei. Mit diesem Argument hatte er zuvor den von ihm "einsam" (Die Grünen) verordneten Stopp der geplanten Pflegereform begründet. Die aktuellen Vermittlungsprobleme der Bundesregierung rühren jedenfalls daher, dass Schröder diese Aussage bis heute weder dementieren noch bestätigen wollte. Für zusätzliche Irritationen sorgten die Kommentare der grünen Spitzen Krista Sager, Angelika Beer oder auch Joschka Fischer, wonach man keineswegs beabsichtige, das Tempo zu drosseln. Auch die von der Presse zugespitzt wiedergegebene Formulierung des Generalsekretärs Scholz, es sei "alles getan", trugen zur Verwirrung bei."Es geht ruhiger und solider weiter"

Am Montag nach dem Parteirat hörte sich die Korrektur des Malheurs dann so an: "Die Reformen gehen weiter" (Olaf Scholz); "Der Reformkurs geht etwas ruhiger und solider weiter" (Parlamentarischer Geschäftsführer Wilhelm Schmidt); "Auch 2004 wird ein Jahr der tiefgreifenden Reformen" (Regierungssprecher Hans Langguth); "Zusätzliche Schritte dazu sind mir nicht bekannt" (nochmals Scholz). Der Vorsitzende des Parteirats, Rüdiger Fikentscher, gab nach der Sitzung des Gremiums zu, dass man sich kritisch mit dem Erscheinungsbild der Koalition auseinander gesetzt habe. Allerdings sei auch richtig, dass "viele der unausgegorenen Sachen, über die wir in der Zeitung lesen, sich nachher nicht bestätigen". Das liege auch daran, so die Klage von Bundesfinanzminister Hans Eichel, dass man keine Referentenentwürfe mehr in Ruhe abstimmen könne, ohne dass sie an die Öffentlichkeit kämen. Zuvor war Eichel wegen des geplanten Schwarzarbeiter-Bekämpfungs-Gesetz und der dadurch entstandenen Irritationen attackiert worden. Immerhin scheint festzustehen, dass die eingeleiteten Reformen, bei Rente, Krankengeld oder Zahnersatz, wie geplant umgesetzt werden sollen. Scholz führte dies als Beleg dafür an, "dass man mutiger als wir nicht sein kann".

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