Verbote bringen nichts

Amok-Drohungen sorgen an vielen Schulen für Unruhe. Im nordrhein-westfälischen Kaarst blieb ein Gymnasium nach einer angeblichen Drohung gestern geschlossen. Der TV sprach über die Konsequenzen mit dem Trierer Soziologen Waldemar Vogelgesang.

Düsseldorf/Trier. (wie/dpa) Ein Jahr nach der Bluttat im nordrhein-westfälischen Emsdetten - ein 18-Jähriger war am 20. November in eine Realschule gestürmt, hatte um sich geschossen und dabei 37 Menschen verletzt, dann erschoss er sich selbst - geht an vielen Schulen die Angst um. Immer wieder sorgen Ankündigungen von Amokläufen in Schulen für Unruhe. Nach einem vagen Hinweis der finnischen Polizei auf einen geplanten Amoklauf blieb ein Gymnasium in Kaarst bei Düsseldorf gestern vorsorglich geschlossen. Finnische Beamte hatten ein Chat-room-Gespräch im Internet verfolgt. Doch eine Durchsuchung der Schule ergab keine Hinweise auf die angebliche Tat. Vor einer Woche erst wurde eine Mainzer Gesamtschule wegen einer ähnlichen Drohung im Internet geschlossen. Seit dem Amoklauf im westfälischen Emsdetten hatte die Polizei in Nordrhein-Westfalen insgesamt 75 Hinweise auf mögliche Amoktaten gehabt. Über die Häufung von angeblichen Amokläufen in Schulen sprach unser Redakteur Bernd Wientjes mit dem Trierer Soziologen Waldemar Vogelgesang. Wie ernst sind Ankündigungen von Amoktaten zu nehmen? Vogelgesang: Es ist schwer zu unterscheiden, was eine mögliche Nachahmungstat oder wer nur ein Trittbrettfahrer ist. Viele springen - angestachelt durch die Berichterstattung - auf, um ähnlich wie die Amokläufer eine öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Randstellung nie erhalten würden. Die meisten Nachahmer haben es nämlich eher darauf abgesehen, im Mittelpunkt zu stehen, als tatsächlich zum Täter zu werden. Die Polizei muss aber allen auch noch so vagen Hinweisen nachgehen. Welche Rolle spielen die Medien bei Nachahmern und Trittbrettfahrern? Vogelgesang: Natürlich muss darüber berichtet werden. Allerdings verschaffen die Medien damit den Tätern eine Art Aufmerksamkeitsprämie. Daher sollte die Berichterstattung schon sehr sensibel sein und immer auch die Biografie des Täters im Auge haben. Gibt es denn typische Biografien für Amoktäter? Vogelgesang: Die gibt es. Es sind meistens Personen, die am gesellschaftlichen Rand und in sozialer Isolation leben. Was sie dann letztlich dazu bringt, die Taten auszuführen, ist aber höchst unterschiedlich. Festzustellen ist aber, dass alle Taten rational geplant und zumeist kaltschnäuzig durchgeführt werden. Das heißt aber auch: Die Taten lassen sich also nicht verhindern. Vogelgesang: Das ist ein Risiko, mit dem unsere Gesellschaft leben muss. Also bringen auch Verbote nichts? Vogelgesang: Verbote werden solche Taten nicht verhindern. Killerspiele sind nie alleine schuld an Amokläufen. Auch eine Verschärfung des Waffenrechtes hat nicht verhindern können, dass Jugendliche an Waffen herankommen. extra Neue Vorwürfe: Die Bezirksregierung Köln hat neue Vorwürfe gegen die Kölner Polizei im Zusammenhang mit dem geplanten Amoklauf an einem Gymnasium weitgehend bestätigt. Demnach entwischte der 17-jährige Tatverdächtige am Freitag "unmittelbar im Anschluss" an ein Gespräch mit der Polizei aus der Schule. Der Jugendliche nahm sich anschließend mit einem Sprung vor eine Straßenbahn das Leben. Die Kölner Polizei hatte bisher nichts von einem plötzlichen Verschwinden des 17-Jährigen berichtet. Wie August Gemünd, Sprecher der Bezirksregierung Köln, ausführte, war der 17-Jährige am Freitag zunächst von zwei Lehrern befragt worden, warum er Bilder eines Schulmassakers im Internet veröffentlicht hatte. "Dann hat die Polizei das Gespräch fortgeführt und die Lehrer gebeten, den Raum zu verlassen", sagte Gemünd. Nach dem Gespräch seien die beiden Polizisten mit dem 17-Jährigen wieder herausgekommen und dieser habe gesagt, er müsse mal auf die Toilette. Davon sei er dann nicht mehr zurückgekehrt, obwohl zwei Freunde auf ihn warteten. Lehrer, Schüler und die Polizisten hätten nach ihm gesucht, ihn aber nicht gefunden. Laut Gemünd hatte die Polizei auch entschieden, die Eltern des Jugendlichen vor dem Gespräch nicht zu informieren. Der stellvertretende Schulleiter habe dann nach dem Verschwinden des 17-Jährigen dessen Mutter angerufen und sie gebeten, sich beim Eintreffen des 17-Jährigen sofort zu melden. Er kam aber nicht mehr zu Hause an.

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